Sonnensturm
Solarzellen-Paneele waren auf dem Träger aufgereiht. Am
anderen Ende des Trägers befand sich eine große
Kuppel, die die Besatzungsunterkünfte beherbergte:
Wohnquartiere, eine Brücke und Lebenserhaltungssysteme.
Irgendwo da drin, umgeben von Wassertanks zur zusätzlichen
Abschirmung, war der kleine, beengte und dickwandige
Sonnensturm-Bunker, in den die im interplanetaren Raum gefangene
Besatzung sich während des Sonnensturms am 9. Juni 2037
zurückgezogen hatte.
Und der Schild, der die Welt retten sollte, spannte sich
bereits um die Aurora; seine schimmernde Oberfläche
erstreckte sich spiralförmig ins All wie ein
Spinnennetz.
Die Aurora diente als eine
›Bauhütte‹ für die von der Erde zum Mond
übergesetzten Bautrupps, die an der Fertigstellung dieses
gewaltigen Projekts arbeiteten. Es war ein nobles Schicksal
für jedes Schiff, sagte Miriam sich. Jedoch war die Aurora ursprünglich dazu bestimmt gewesen, eine
andere Welt zu umkreisen, und der Anblick des
›eingerüsteten‹ Schiffes versetzte ihr doch
einen Stich. Miriam fragte sich, ob die künstliche
Intelligenz des Schiffes, die nun an ihrer Selbstverwirklichung
gehindert wurde, so etwas wie Bedauern kannte.
Die Boudicca dockte an den Wohnquartieren der Aurora an und schmiegte sich mit dem Bauch an die
gewölbte Hülle wie eine Motte, die sich auf einer
Orange niederließ.
Miriam und Nicolaus wurden von einem Astronauten empfangen:
Oberst Burton Tooke. Bud trug einen Overall – eine
informelle Kluft, aber frisch gewaschen und gebügelt und
verziert mit Astronautenschwingen, Missionslogos und
militärischen Ordenszeichen. Bud streckte die Hand aus und
half Miriam, durch den Andocktunnel zu kriechen. »Die
Schwerelosigkeit scheint kein Problem für Sie zu
sein«, sagte er.
»Ja, ich habe ein paar Pirouetten in der Kabine der Boudicca gedreht. Das hat Spaß gemacht – nach
den ersten zwölf Stunden oder so.«
»Das kann ich mir vorstellen. Die Raumkrankheit
befällt die meisten von uns. Und die meisten Menschen
überstehen sie auch.«
Nicolaus hatte sie aber nicht überstanden, was Miriam
eine eigentümliche Genugtuung verschafft hatte. Wenigstens
einmal, in dieser zwischen den Welten treibenden Blase aus
Metall, war sie es gewesen, die auf ihn hatte
aufpassen müssen.
Miriam hatte den größten Teil des Flugs mit Arbeit
verbracht; sie war mehr oder weniger auf dem neusten Stand und
fühlte sich sogar recht ausgeruht. Also überließ
sie es Captain Purcell, ihre paar Gepäckstücke
auszusortieren und nahm Buds Einladung zu einer kurzen
Führung an. Im Schlepptau Nicolaus’, auf dessen Kopf
und Schulter Kameras wie glitzernde Vögel hockten –
begierig, jeden Moment dieser Foto-Session einzufangen.
Sie drifteten durch die engen Gänge der Aurora. Dies war ein für den Weltraum konzipiertes Schiff; es gab
Rohre, Kabelstränge und abnehmbare Verkleidungen an
Wänden, Decke und Boden, Geländer und Sprossen, um die
Fortbewegung in der Schwerelosigkeit zu unterstützen und ein
in Pastelltönen gehaltenes Farb-Leitsystem, das einem
zeigte, wo ›oben‹ war. Man vermochte sich kaum
vorzustellen, dass dieser nüchterne Arbeitsplatz zum Mars
und zurück geflogen war.
Trotz der Leistungsfähigkeit der Recyclingsysteme stank
es schlimm, ja fast tierisch nach Menschen. Aber sie
begegneten niemanden; entweder mied die Mannschaft den hohen
Besuch oder befand sich, was wahrscheinlicher war, irgendwo bei
der Arbeit. Dieser Besuch war grundverschieden von ihren
sonstigen regierungsamtlichen Visiten und mutete irgendwie intim
an. Und sie vermisste auch nicht die übliche Blase aus
Journalisten und handverlesenen Jublern.
Sie erreichten die Luke zum Beobachtungsdeck der Aurora. Bud stieß die Tür auf, und Miriams
Gesicht wurde in Sonnenlicht getaucht. Das
›Panoramafenster‹ des Decks erwies sich als
gehärtete Plexiglasscheibe, die natürlich viel kleiner
war als die Fenster in ihrem Büro in der Euronadel. Einmal
hatte dieses Fenster jedoch den Blick in die roten Felsschluchten
des Mars eröffnet – und nun in den Weltraum.
Dort draußen wurde fleißig gearbeitet. Ein
Gittergerüst ragte direkt unterm Fenster hervor und
erstreckte sich weit in die Ferne. Astronauten in
Raumanzügen mit unterschiedlichen Farbkennungen wuselten
herum, hangelten sich an Geländern und Kabeln entlang oder
wurden von kleinen Rückentornister-Düsen angetrieben.
Auf den ersten Blick mussten hundert
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