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Sonnentaucher

Sonnentaucher

Titel: Sonnentaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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andere Hälfte von Angesicht zu Angesicht. Die Festungsmauern, unbezwingbar in jeder der vergangenen Belagerungen, waren jetzt noch furchtbarer. Die Lehmschanzen waren durch Steinblöcke ersetzt. Der Sperrverhau war aus spitzen Nadeln, schlank und zwanzig Meilen lang. Ein Banner wehte auf dem höchsten Turm, und das Motto darauf hieß ›Loyalität‹. Die Fahne wehte über zwei Pfählen, und auf jedem der beiden steckte ein Kopf. Den einen erkannte er sofort. Es war sein eigener. Das Blut, das aus dem durchtrennten Hals gesickert War, glitzerte noch. Das Gesicht blickte reuevoll.
    Der andere Kopf ließ ihn erbeben. Es war Helenes. Ihr Gesicht war streifig und von Pockennarben übersät, und als er es betrachtete, flatterten die Lider matt. Der Kopf lebte noch.
    Aber warum? Warum diese Wut gegen Helene? Und warum dieser Unterton von Selbstmord... dieses Sträuben dagegen, mit ihm zu verschmelzen zu einem fast übermenschlichen Wesen, wie er es einmal gewesen war?
    Wenn Culla sich entschlösse, jetzt anzugreifen, dann wäre er hilflos. Das Kreischen eines schrillen Windes erfüllte seine Ohren. Das Donnern von Düsentriebwerken und das Rauschen eines Sturzes... die Stimme einer Frau, die etwas rief, als sie an ihm vorüberstürzte, fiel...
    Und zum erstenmal verstand er, was sie rief.
    »Jake! Gib acht auf den ersten Schritt...! «
    Ist das alles? Weshalb dann soviel Aufhebens? Warum hatte er sich monatelang vergebens gemüht hervorzuwühlen, was sich dann als Tanias letzte ironische Stichelei erwies? Natürlich. Jetzt, da der Tod kurz bevorstand, ließ seine Neurose ihn erkennen, daß die verschütteten Worte auch nur eine falsche Spur gewesen waren. Hyde verbarg etwas anderes vor ihm. Er verbarg...Schuld.
    Er wußte, daß er nach der Affäre bei der Vanille-Nadel ein gehöriges Quantum davon zu tragen hatte, aber nie war ihm klar gewesen, wieviel. Jetzt sah er, wie krankhaft dieses Jekyll-und-Hyde-Arrangement, mit dem er gelebt hatte, in Wirklichkeit war. Statt das Trauma eines schmerzlichen Verlustes langsam verheilen zu lassen, hatte er ein künstliches Wesen von sich abgetrennt. Er hatte es isoliert wachsen und sich an ihm nähren lassen – an ihm und an seiner Scham dafür, daß er Tania hatte fallenlassen... an seiner Scham für die unübertreffliche Arroganz eines Mannes, der an jenem verrückten Tag, zwanzig Meilen hoch über der Erde, geglaubt hatte, er könne zwei Dinge auf einmal tun...
    Es war nur eine von vielen Formen der Arroganz gewesen – der Glaube, er könne die normale, die menschliche Art, sich von einem Schmerz zu erholen, umgehen, den Zyklus von Gram und Überwindung, den die Milliarden seiner Mitmenschen zu bewältigen hatten, wenn sie einen Verlust erlitten. Das und den Trost der Nähe zu anderen Menschen.
    Und jetzt saß er hilflos in der Falle. Jetzt war klar, was das Banner auf den Festungsmauern zu bedeuten hatte. In seinen krankhaften Bestrebungen hatte er geglaubt, einen Teil seiner Schuld dadurch abgelten zu können, daß er der Person, die er im Stich gelassen hatte, seine Loyalität demonstrierte. Keine offene Loyalität, sondern eine Loyalität tief in seinem Innern ... eine krankhafte Loyalität, die darauf basierte, sich allen anderen vorzuenthalten... Und dabei war er die ganze Zeit über sicher gewesen, daß mit ihm alles in Ordnung sei, denn er hatte ja Frauen gehabt!
    Kein Wunder, daß Hyde Helene haßte! Kein Wunder, daß er auch Jacob Demwa tot sehen wollte!
    Tania wäre nie mit dir einverstanden gewesen, sagte er zu ihm. Aber das Ding hörte nicht zu. Es hatte seine eigene Logik, und für die seine hatte es keine Verwendung.
    Verflucht – sie hätte Helene geliebt!
    Es half nichts. Die Barriere war unerschütterlich. Er öffnete die Augen.
    Das Rot der Chromosphäre hatte sich vertieft. Sie waren jetzt in das Filament eingedrungen. Ein farbiges Aufblitzen, das sogar die Gläser seiner Schutzbrille durchdrang, ließ ihn nach links blicken.
    Es war ein Torus. Sie waren wieder bei der Herde.
    Noch als er hinausblickte, trieben weitere vorbei. Ihre Ränder prangten von leuchtenden Mustern. Sie rotierten wie verrückte Teigkringel, ohne zu ahnen, in welcher Gefahr das Sonnenschiff schwebte.
    »Jacob, Schie haben noch nichtsch geschagt.« Cullas gleichförmige, lispelnde Stimme war zu einem Hintergrundgeräusch geworden. Erst als er seinen Namen hörte, achtete Jacob wieder auf das, was er redete.
    »Schie haben doch gewisch eine Meinung tschu meinen Motiven. Schehen Schie

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