Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:
sagte Tabea.
    Sarah bohrte ihre langen Zehen in den Sand. »Es kitzelt«, sagte sie. »Warum machst du uns kein Bett?«
    Tabea zog ein Gesicht. Sie packte Sarahs Fessel.
    Für heute war Sarah die Illusionen leid. »Lass uns ins Schlafzimmer gehen«, sagte sie, »wie ganz normale Leute.«
    »Will ich aber nicht«, sagte Tabea und rollte sich auf den Rücken. »Ich will hier nicht raus.«
    »Dann mach uns ein Bett«, sagte die Akrobatin. »Alice? Machst du uns ein Doppelbett?«
    Alice fremdelte zurzeit sehr und redete fast nur noch mit Käpt’n Jute. »KÄPT’N JUTE WÜNSCHT SICH KEIN DOPPELBETT«, sagte sie.
    »Aber ich schon.«
    »ES TUT MIR WIRKLICH LEID, MISS ZODIAK«, sagte das Ego. »DEN KÄPT’N BEI LAUNE ZU HALTEN IST EIN DAUERBEFEHL.«
    »Hat absoluten Vorrang«, murmelte Tabea. »Alles andere ist von untergeordneter Bedeutung.«
    »Ich will jetzt ein Bett«, beharrte die Akrobatin.
    »Dann mach eins«, stöhnte Tabea, »aber hör auf zu quengeln. Ich bin nur hier« - Sarah hatte bereits das Menü aufgerufen und tastete pingelig ihre Adjustage ein -, »weil ich meine Ruhe haben will.«
    Unter ihr verschmolzen die Sandkörnchen zu etwas Kühlem, Weichem, das sie im ersten Moment für eine große, schlaffe karamellfarbene Luftmatratze hielt.
    »Ups, das ist ja was Besonderes«, sagte Tabea. Sie strich mit der Hand darüber. Der gesamte Sandboden hatte sich in einen Flor verwandelt, der einer feinen Alpakadecke ähnelte.
    Sarah kam angetanzt, auf den Fußspitzen wie eine Ballerina.
Sie verneigte sich anmutig, drehte Tabea den Rücken zu, die Arme hoch erhoben.
    Tabea öffnete den Reißverschluss des Trauerkleids. Die Schulterblätter der Akrobatin waren elfenbeinfarbene Reliefs. Tabeas Hände wirkten schwarz dagegen.
    Tabeas Zunge leckte wie eine Welle. Sarah schrie auf. Sie krallte wie eine Schrantin. Sie schrie in unbekannten Sprachen, Sprachen der Verzweiflung. Sie hatte etwas verloren, das ihr weder Tabea noch sonst jemand zurückgeben konnte.
    Danach lagen sie im seichten Wasser und spürten, wie die imaginäre See an ihre gelösten Schenkel spülte. Sie sahen zu, wie die Schiffe vorbeizogen, die Alice ihnen gezaubert hatte. Wunderschöne Schoner mit aberhundert schneeweißen Segeln; glänzende schwarze Ozeandampfer so hoch wie Wolkenkratzer und spanische Galeonen mit Totenschädel und gekreuzten Knochen.
    »Ich wollte immer schon Piratin sein«, schwärmte Käpt’n Jute. Sie hatte Daiquiris kommen lassen und wurde immer betrunkener und schwermütiger. »Die ›Liga der Ausgestoßenen‹ auf Rechtschaffenheit-II: Mir hat es Spaß gemacht, wie die Leute uns ansahen. Die hatten richtig Angst vor uns. Weil wir eklige, schauerliche Abzeichen und scharfe Haarschnitte trugen, waren sie überzeugt, wir würden sie über kurz oder lang ausrauben und verstümmeln.«
    Sie ließ den Kopf zurück und zwischen die Schultern fallen, hob ihre bloßen Brüste der teilnahmslosen Sonne entgegen. »Wir waren die reinsten Wegelagerer«, sagte sie verträumt.
    »Ich weiß«, sagte Sarah. »Du hast es mir erzählt.«
    Sie suchte nach Papiertaschentüchern. »Sonst hattest du deine Tasche immer dabei«, bemerkte sie.
    »Aber mit an den Strand nehme ich sie nie«, sagte Tabea sofort.
Sarah hatte trotzdem recht. Sie hatte keinen Schimmer, wann sie die Tasche zuletzt gehabt oder wo sie die Tasche abgesetzt hatte. Sie hatte das ulkige Gefühl, etwas Wichtiges verloren zu haben. Was war wichtig an einer Tasche? Jetzt brauchte sie all den Plunder nicht mehr mit sich herumzuschleppen. Wo sie auch hinging, würde man ihr schon geben, was sie brauchte. »Drohne!«, rief sie. »Papiertaschentücher und noch eine Portion Eis.«
    Sarah zog ihr Höschen an und sah dabei der Servicedrohne hinterher, die verbissen durch den neu modellierten Sand schlingerte. Sie las ihr schwarzes Kleid auf und drehte es von links auf rechts.
    »Bei Hannahs Bestattung trieben sich Seraphim herum«, erzählte sie unvermittelt.
    Apokalypso-Musik, düster und mit lauter unheilvollen Basslinien, wehte von irgendwo hinter den Palmen herüber, als wäre da eine große Party im Gange.
    »Woher weißt du das, mein Blütenblatt?«, fragte Käpt’n Jute.
    »J. M. Souviens hat mir das schwarze Schiff gezeigt«, sagte Sarah. Sie presste das Kleid an sich, als hätte sie vergessen, wozu es gut war. »Die Seraph Kajsa.«
    Käpt’n Jute hatte nicht die geringste Ahnung, wovon Sarah redete. »Alice«, sagte sie, »hast du das mitbekommen?«
    »JA, KÄPT’N«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher