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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nicht blöd. Du weißt, was ich meine. Du bist so auf Äußerlichkeiten fixiert – der Mensch dahinter interessiert dich gar nicht.«
    »Hm. Und jetzt?«
    »Keine Ahnung, sieht schlecht für dich aus.«
    »Also … Wenn ich mir Helen und dich so ansehe, sieht es eher schlecht für dich aus. Oder bist du glücklich mit deiner Beziehung?«
    »Nein.«
    »Wie sieht es mit Sex aus?«
    »Don’t ask.«
    »So, und jetzt sag mir: Weshalb bist du mit Helen zusammen?«
    Schweigen.
    »Ich weiß nicht – Liebe.«
    Tom kam sich wie ein Märtyrer vor.
    »Sentimentaler Quatschkopf.«
    »Mag sein, aber so ist es nun mal.«
    »Von mir aus. Aber seit wann hat Sex etwas mit Liebe zu tun?«
    »Ich weiß, worauf du hinauswillst, aber Sex ohne Liebe ist … leer.«
    Wladimir setzte sich auf, was jetzt kam, erforderte Nachdruck.
    »Eins kann ich dir sagen: Von Liebe allein wird
mein
Schwanz nicht hart, und wenn wir in unserem Leben nur vögeln dürften, wen wir tief und innig und von ganzem Herzen lieben, dann kämen wir nicht weit.«
    Sein Elan war erschöpft, er rückte sich seine Brille zurecht und glitt zurück in die Waagerechte.
    |152| Tom: »Vielleicht hast du einfach noch nicht geliebt. Wenn man jemanden liebt, meint man, dass es immer so weitergehen müsste, und man kann nicht einfach hinnehmen, wenn es nicht so ist. Sonst würde auch keiner jemals auf die Idee kommen zu heiraten. Es ist verrückt, heiraten, meine ich. Jeder weiß, dass es nicht funktioniert, und doch sehnen sich alle danach.«
    Wladimir: »Alle Frauen vielleicht.«
    »Alle Frauen – und ich.«
    »Du?«
    »Ja, ich. Ich würde Helen gerne heiraten. Heiraten, eine Familie gründen, das ganze Programm.«
    »Mann, muss es dir schlechtgehen. Die Heirat markiert das Ende einer Entwicklung, das weiß doch jeder. Jedes Märchen
endet
mit der Heirat. Danach bewegt sich nichts mehr. Statik. Der schleichende Tod.«
    »Wenn du liebst, hast du keine Wahl.«
    »Sag’ ich doch: Liebe ist die totale Unfreiheit.«
    »Nicht, wenn es dir gelingt, immer auf dem Grat zu wandeln.«
    So wie du und Helen, haha, dachte Wladimir, und verdammt, Tom dachte es auch.
    Wladimir: »Sag mal, bist du echt so naiv? Im wirklichen Leben gibt es keine Freiheit in der Beziehung, da gibt es Freiheit
oder
Beziehung. Ich habe nie kapiert, weshalb alle so scharf darauf sind.«
    »Weil Liebe dir das Gefühl gibt, dass du nicht umsonst lebst. Die perfekte Illusion.«
    »Also gibt es Liebe gar nicht wirklich?«
    »Doch, natürlich. Das Gefühl ist unbestreitbar, die Illusion ist real. Nur das, was sie dir vormacht, ist gelogen.«
    Wladimir wendete den Gedanken in seinem Kopf hin und her: »Dann verhält es sich mit der Liebe also wie mit dem Ich?«
    |153| Tom war verblüfft. So komplexe Überlegungen war er von Wladimir nicht gewohnt.
    Tom: »Kannst du den noch mal wiederholen?«
    »Neulich hab’ ich in einem Buch meines Vaters geblättert – irgendein Immanuel. Eine Kritik von irgendwas. Zuerst hab’ ich gedacht, die haben sich verdruckt – Sätze wie ein Zimmer voller Schleifstaub: Du siehst nichts. Ich habe versucht, etwas davon zu verstehen. Es war so eine Art Denksportaufgabe. Also … Da stand irgendwo, dass unser Ich an sich völlig substanzlos ist – so wie ein Vakuum – und dass wir nur annehmen, eins zu besitzen, weil wir den ganzen Tag lang Dinge tun, die uns ohne ein Ich völlig sinnlos erscheinen müssten: Wenn ich kein Ich habe, wer sagt mir dann, dass ich Ketchup auf meine Pommes will – so ungefähr. Also … Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann ist es mit der Liebe genauso: Keiner hat sie je gesehen, aber wir nehmen an, dass sie existiert, weil wir keine andere Möglichkeit haben, uns dieses Gefühl zu erklären.«
    Tom konnte es nicht glauben: »Exakt!«
    »Ich stelle mir das Ich ja eher als etwas vor, das sich füllt. So wie der Beutel von unserem Absauggerät. Der saugt einfach alles auf, was ihm vor die Nase kommt, und zum Schluss hast du einen prall gefüllten Beutel mit allem, was so ein Leben ausmacht: elf Liter Staubsauger-Ich.«
    So wie dein Vater, dachte Tom, nur dass der Bücher aufgesaugt hatte.
    Tom: »Du hättest früher mit Lesen anfangen sollen, da ist eindeutig Potential vorhanden.«
    Wladimir: »Was ich nur nicht verstehe: Weshalb denkst du über so etwas überhaupt nach?«
    »Weil ich glaube, dass es uns weiterbringt, wenn wir darüber nachdenken, warum wir bestimmte Dinge tun und andere nicht.«
    |154| »Und? Bringt es dich weiter?«
    »Nein.«
     
    Paul,

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