Sonnenwende
wollte sie ihn ermutigen. Ada konnte sein verzerrtes Gesicht |170| erkennen. Hätte er in diesem Moment die Augen geöffnet, hätte er sie gesehen.
Dann waren sie fertig. Ada wich zurück, das Licht im Labor hatte sie schon vorher gelöscht. Eine Weile passierte gar nichts, dann hörte sie seine tiefe Stimme: »Was ist los, warum weinst du?«
»Schon gut, ist gleich vorbei.«
»Jetzt sag schon! Mit dir stimmt doch etwas nicht.«
Ada wagte einen Blick durch den Spalt. Die Frau hatte sich aufgesetzt und hielt sich die Hände vors Gesicht. Ihre Leberflecken sahen in dem fahlen Licht wie schwarze Tropfen aus. Er griff ihre Unterarme.
»Jetzt sag mir schon, was los ist. Helen! Bitte!«
»Ich bin schwanger, das ist los!«
Dann sagte lange keiner etwas, nur ihr Schluchzen war zu hören.
»Von wem ist es?«
»Von wem wohl? Von dir natürlich! Ist das die einzige Sorge, die du hast, dass es nicht von dir sein könnte?«
»Nein, entschuldige.«
»Schon gut. Tut mir leid. Eigentlich wollte ich es dir gar nicht sagen.«
Wieder wurde es still.
»Was willst du tun? Ich meine, was sollen wir tun?«
»Es abtreiben lassen, was denn sonst.«
»Aber wir könnten … also …«
»Wir könnten
was
?«
»Du weißt, wie ich zu dir stehe, zu uns. Ich will dich. Ich will ein gemeinsames Leben – mit dir.«
»Ach, Klaus, du bist verheiratet, hast du das vergessen? Du hast eine Frau und ein Kind, und ich habe jemanden, den ich liebe, mit dem ich aber nicht mehr zusammen sein kann, weil … ich weiß auch nicht, warum. Jedenfalls kann ich Tom nicht |171| einfach verlassen. Was stellst du dir vor, was ich ihm sagen soll? ›Du, Tom, tut mir leid, ich liebe dich, aber irgendwie hat das keinen Zweck mehr, und außerdem bin ich schwanger von einem Kollegen, mit dem ich seit einem halben Jahr ein Verhältnis habe.‹«
»Aber ich dachte, ihr liebt euch nicht mehr.«
»Wir schlafen nicht mehr miteinander, das ist etwas anderes.«
»Aber wenn es das ist, was du willst? Das Kind, meine ich. Ich habe dir gesagt, dass ich bereit bin, meine Familie zu verlassen, wenn du dich für mich entscheidest. Richtig entscheidest. Wir könnten ein gemeinsames Kind haben, alles andere ist doch unwichtig.«
»Was redest du da? Es gibt
nicht
nur uns, alles andere ist
nicht
unwichtig, und ich werde es
nicht
behalten!«
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|172| Unter Wasser
Tom hatte begonnen, vor dem Einschlafen zu onanieren – neben Helen. Er hatte früher schon daran gedacht, es aber nie gewagt. Dann hatte er Iron Man im Kino gesehen und war in Kämpferlaune ins Reich der sexuellen Frustrationen und nutzloser Genitalien zurückgekehrt, während Wladimir und Paul noch in die Bar 25 gegangen waren.
Als er ins Schlafzimmer kam, schlief Helen bereits. Viertel vor elf. Na sicher. Er bemühte sich nicht, besonders leise zu sein, kroch unter seine Decke, und keine zehn Minuten später war er deutlich entspannter. Helen bewegte sich nicht. Wollte sie ihm allen Ernstes suggerieren, sie hätte nichts bemerkt? Gut, der Abstand zwischen ihnen war so groß wie die Straße von Gibraltar – bei gutem Wetter konnte man gerade den gegenüberliegenden Kontinent sehen –, aber ihm vorzumachen, es sei ihr entgangen, das war kindisch.
Die Szene wiederholte sich. Helen zeigte ihm die kalte Schulter, und er onanierte. Nach fünf Tagen hielt sie es nicht mehr aus.
»Geht das jetzt schon wieder los?«, fragte sie plötzlich in die Dunkelheit hinein.
»Was meinst du?«
»Dass du es dir machst.«
»Du meinst, dass ich onaniere?«
»Was denn sonst?«
»Stört es dich?«
»Ja. Es ist erniedrigend.«
Wo war er hier? In einem Fünfziger-Jahre-Heimatfilm?
|173| »Nein, erniedrigend ist es, um Sex betteln zu müssen.«
»Was soll denn das heißen?«
»Das muss ich dir nicht wirklich erklären, oder?«
»Doch.«
»Na schön. Im laufenden Kalenderjahr hatten wir noch keinen Sex, ohne dass die Initiative dazu, um es mal vorsichtig auszudrücken, von mir ausgegangen wäre – von dem einen Mal neulich abgesehen.«
»Blödsinn.«
»Kein Blödsinn. Ich habe es aufgeschrieben.«
Sie setzte sich auf, es blieb ihr nichts anderes übrig. Spätestens jetzt konnte sie ihn einfach nicht länger ignorieren.
»Du führst Buch über unser Sexualleben?«
»Wir haben keins.«
»Das ist ja pathologisch.«
»Es hilft.«
»Es hilft?«
»Ja. Ich weiß jetzt, dass es keinen Grund gibt, weshalb ich mich von jeder Kleinigkeit runterziehen lassen sollte, nur weil es in unserer Beziehung nicht mehr
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