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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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läuft.«
    »Du redest wie ein Therapeut.«
    Tom zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich hatte sie recht, aber was änderte das? Helen lehnte an der Wand und wusste nicht weiter. Tom starrte an die Decke, sein Schwanz hatte sich für heute verabschiedet.
    Helen: »Und jetzt?«
    Wir könnten Sex haben, dachte er, aber er wusste, das war keine gute Idee.
    »Wir müssen kein Liebespaar sein, es zwingt uns niemand.«
    »Du meinst, du würdest gerne ohne schlechtes Gewissen in der Gegend rumvögeln.«
    »Klingt, als wüsstest du, wovon du sprichst.«
    »Lenk nicht ab!«
    |174| »Ich meine, ich möchte gerne begehrt werden und begehren dürfen.«
    »Dann können wir uns ja gleich trennen.«
    »Möchtest du das?«
    »Nein! Ich brauche dich doch. Wir können uns nicht einfach so trennen.«
    Einfach so?
    »Ich will nicht gebraucht, ich will begehrt werden.«
    »Aber wir lieben uns doch.«
    »Hört sich an, als wären wir einander ausgeliefert.«
    Helen stand auf und verschwand im Bad. Tom hörte, wie sie weinte und sich gleichzeitig erbrach. Mit der Wahrheit, das war schwierig, man durfte sie nur in homöopathischen Dosen verabreichen. Sollte er zu ihr gehen? Und was dann? Er wusste es nicht. Er wusste gar nichts mehr.
    ***
    Seit Monaten rannten sie nur noch im Kreis um den trüben Tümpel ihrer Liebe. Das klare Wasser hatte sich nach und nach verflüchtigt, und jetzt war nur noch der Schlamm übrig. Ein zufälliger Beobachter hätte nicht sagen können, wer bei diesem Rennen wen verfolgte, aber in Toms Vorstellung war immer er es, der hinter Helen herlief. Doch sie hielt ihn auf Distanz, Angst macht schnelle Beine. Er sah sie immer nur von hinten.
     
    Gegen sieben würde Helen von ihrem Seminar zurückkommen. Tom wollte sie mit einem Essen empfangen: Lammkeule zu Kerzenschein und Rotwein. Sie mochte Lammfleisch. Nach dem Aufstehen hatte er zwei Stunden lang wie ein Löwe im Käfig Kreise in der Wohnung gedreht, dann hatte er Wladimir angerufen.
    |175| »Mir fällt die Decke auf den Kopf.«
    »Ich wollte gerade mit Paul Fahrrad fahren. Wenn du willst, komm mit.«
    »Gib mir zwanzig Minuten.«
    Bei den üblichen achtzig Kilometern von Paul und Wladimir würde Tom nur dann mithalten können, wenn er sich hartnäckig im Windschatten hielt und sie Mitleid mit ihm hatten.
    Sie hatten keins. Bis zur Glienicker Brücke konnte er dranbleiben, danach musste er sie ziehen lassen. Am Kronprinzessinnenweg trafen sie sich wieder. Paul und Wladimir sahen aus, als seien sie gerade aufgestanden.
    Paul: »Ah, Tom, alles klar?«
    »Könnte nicht besser sein«, schnaufte Tom.
    Den Nachmittag vergammelten sie auf Wladimirs Sofa. Auch er hatte Sky, es war auszuhalten. Irgendein Actionfilm, gespickt mit Superheroes, die Stürze aus 25 Metern Höhe locker mit den Knien abfedern konnten oder aber wenigstens mit futuristischen Motorrädern durch ausgetrocknete Flussbetten jagten, gleichzeitig ein halbes Dutzend Verfolger eliminierten und zusätzlich eine Bombe entschärften und den Sicherheitscode des Pentagons entschlüsselten. Eine Stunde lang starrte Tom auf die Mattscheibe. Dann gab es eine Bildstörung, und er setzte sich an den Flügel, gab aber nach drei Stücken wieder auf. Er packte seine Sachen zusammen.
    Paul: »Willst du nicht die zweite Halbzeit sehen, jetzt, wo es so spannend ist?«
    War es das?
    »Helen kommt heute abend von einer Fortbildung zurück.«
    »Na, dann viel Spaß.«
     
    Die Lammkeule schmorte im Ofen, auf dem Tisch brannten Kerzen, und der Rotwein atmete auf der Fensterbank – so erwartete Tom Helens Ankunft. Seine Stimmung hatte sich |176| nicht gebessert. Er machte sich Vorwürfe, weil er sich nicht über ihre Rückkehr freuen konnte. Es war paradox: Er vermisste sie, trotzdem wollte er nicht, dass sie zurückkam. Vielleicht sollte er sich nicht so viele Gedanken über Helen machen, sondern zur Abwechslung mal über
sich
nachdenken. Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass die Lammkeule vor allem aus Pflichtgefühl im Ofen schmorte und nicht aus Liebe.
    Ihr Lächeln war angestrengt, sie sah müde aus. Tom bekam einen ihrer Tiefkühlküsse.
    »Das riecht aber gut. Was ist los, hast du ein schlechtes Gewissen?«
    Tom fühlte, wie sich sein Hals zusammenzog.
    »Weshalb sollte ich?«
    »Weil du mit einer anderen vögelst, nehme ich an.«
    Ein Fußtritt vor die Brust, aus heiterem Himmel. Den musste sie lange geprobt haben.
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Stimmt’s oder stimmt’s nicht?«
    »Nein, stimmt

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