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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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doch auch gehört?«
    Nun gilt kein Zögern mehr. »Was soll ich gehört haben?«
    Er streckt den Kopf durch den Spalt. »Du lügst.« Aber er ist unsicher. »Lügner. Du hast's gehört!«
    »Angenehme Träume, Wilby.«
    »Du haßt mich, sonst würdest du mir die Wahrheit sagen!«
    »Es gibt keine Wahrheit. Haben Sie mir das nicht eben beizubringen versucht?«
    Er kreischt. »Du haßt mich, sonst hättste nich die verdammte Katze 'reingebracht.«
    Verlangt er, wegen der imaginären Katze beruhigt zu werden, oder will er meinen Haß bestätigt bekommen, weil er ihn als Lebenselixier braucht? Und falls ich zugebe, ihn zu hassen, wird er mir dann nicht mein Geständnis im Mund verdrehen, weil Liebe und Haß das gleiche sind?
    Er schreit mir nach: »Alle hassen mich. Alle haben mich immer nur gehaßt!« Ich schließe die Tür.
    Er beklagt sich, aber er braucht Haß, lebt davon, nennt ihn Liebe.
    Ich warte, an die Tür gelehnt, bis ich unten die Bibliothekstür zufallen höre. Dann schleiche ich auf die Galerie und drücke die Gästezimmertür leise ins Schloß. Mit etwas Glück wird Wilby es erst mittags merken. Was dann? Aber bis dahin ist Jenny wahrscheinlich wieder da. Ja, und was dann?
    Ich werfe mich aufs Bett.
    Die Nacht ist fast vorbei, und ihre Schrecken greifen in den Tag über. Wie viele Tage? Wie viele noch? Und Nächte? Wird es niemals enden? Es gibt kein Ende. Keines.
    Lydia –
    Wilby unten. Allein, mit seinen Seelenqualen. Fleht um Mitleid, kann es nicht ertragen, tötet es, ehe es Wurzeln schlagen kann. Tötet es durch Selbstbemitleidung, dadurch, daß er es als Schwäche auslegt, verwendet es dann für seine eigenen destruktiven Zwecke. Du sollst ebenso korrupt sein wie ich. Falls der Begriff Korruption noch einen Sinn hat. Falls Zerstörung –
    Kastriert, wie er ist, muß er andere entmannen –
    Aus einem Alptraum schrecke ich hoch. Helligkeit im Zimmer. Sieben Uhr sechsundvierzig. Die Uhr ist mein Feind. Wenn Zeit noch etwas bedeutet –
    Ich erhebe mich, betrachte meine zerknautschten, feuchten Kleider und merke, daß ich schon wieder schwitze. Ich ziehe mich aus und schlüpfe in den nächstbesten Anzug. Ohne mich zu duschen. Das erste Mal in Jahren, wahrscheinlich seit der Kindheit. Dann ins Bad, wo mir mein Gesicht entgegenblickt: bleich, Ringe unter den stumpfblickenden Augen, faltig, vier feuerrote Kratzer. Sühne, Vater. Buße?
    Ich lasse mir kaltes Wasser über das Gesicht laufen, betrachte mich wieder. Um die Wahrheit zu sagen, Adam, ich kam mir zum ersten Mal in diesem letzten Monat alt vor – Wie viele Jahre blieben noch? Falls es noch Jahre sind.
    Ich drehe mich um und uriniere. Was anderes ist die Welt nicht wert – gelbe Pisse!
    Wieder im Schlafzimmer, schaue ich zum Fenster hinaus. In die Fenster drüben. Ein Ehepaar beim Frühstück, er liest die Zeitung. Eine Frau trocknet sich die Haare. Ein Junge und ein Mädchen balgen sich – wegen eines Schulbuchs? Spielzeugs? Ich werde melancholisch, zutiefst deprimiert, wenn ich diese greifbar solide Welt betrachte. Als käme ich zurück von – woher? Von den Toten? Und fände die einst vertrauten Szenen unerträglich fremd, und merkte nun, daß nichts mehr so wirken, so sein kann, wie es einst aussah, weil die Dinge nur sind, was sie scheinen, unwirklich und undurchdringlich, und sich alle ins Nichts zerbröckeln.
    Die Krankheit meines Körpers, die Übelkeit, ist tiefer eingedrungen. In meine Seele? Von der ich weiß, daß sie nicht existiert, Vater. In mein Herz also? Wo der Verfall bereits schweigend und unwiderstehlich am Werk ist.
    Unten summt die Türklingel.
    Also hat der Tag tatsächlich begonnen. Während ich mich vom Fenster abwendete und das Schlafzimmer durchschritt, war ich weder ängstlich noch bestürzt – die Gewißheit, dem unausweichlichen Verderben nicht entrinnen zu können, hatte mich ergriffen. Auf seltsame Weise schien mir jetzt die Verzweiflung Halt zu geben, während ich die Treppe hinabstieg.
    Wieder schellte es, diesmal heftiger.
    Ich blieb vorsichtig an der Wohnungstür stehen. »Ja?«
    »Mr. Wyatt? Ich bin's.« Kehlige Stimmer einer Frau, bekannt.
    »Ja?«
    »Ich. Minnie. Ich hab' keinen Schlüssel nich mehr.«
    Minnie. Natürlich. Aber Minnie kam doch nur dienstags und donnerstags; hatte ich sie nicht angerufen?
    Ich schaute über die Schulter in das verwüstete Zimmer: die Bibliothekstür war geschlossen. Wegen einer Katze, die nicht existierte. Oder vielleicht, weil sie in seinem Geist so deutlich,

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