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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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jemals dran gedacht, Mann – was die Wirtschaft macht, wenn die Kriege aufhören? Läuft doch jetzt seit neunzehnhundertneununddreißig, kapito? Prosperität, Wohlstand – und wo bleiben deine Investitionen, wenn se nich mehr Krieg führen, Paps?«
    »Ich besitze keine Aktien.«
    Wilby pfiff und blieb wie angewurzelt stehen. »Nein?«
    »Nein.«
    »Ungefähr hundertzwanzigtausend, Mann, alles zusammengerechnet. Und die Kurse steigen. Netter kleiner Notgroschen, Mann.«
    Ich starrte ihn alkoholisch benebelt an und entsann mich meiner Abrechnungen in der Schreibtischschublade in der Bibliothek. Ein neues Angstgefühl überkam mich.
    Da vernahm ich von hinten über mir Jennys Stimme. »Was ist denn da unten los?« Schmollend, irritiert, scharf. Nun hörte ich sie die Treppe herabsteigen; ich drehte mich indessen nicht zu ihr um, sondern nahm noch einen tiefen Schluck aus dem Glas. Sie stand schon neben mir, ohne daß ich sie anblickte. Ich spürte, wie sie mir mit der Hand durch die Haare fuhr, und roch ihr schweres Parfum.
    Ich empfand nichts. Gottlob. Nicht einmal Abneigung. Nichts.
    »Ich habe gewartet, Liebling.« Quengelig. »Wie kannst du hier unten bei Wilby sitzen und reden, wenn du –« Ihre Hand strich mir über den Nacken. »Adam, Liebling –«
    Ich erhob mich und wankte zur Bar.
    Als hätte Sie meine Gedanken gelesen, rief sie gellend: »Du willst doch nicht etwa noch mehr!« Dann flehend: »Es ist schon spät, Liebling. Fast Mitternacht.«
    Ich ergriff den Dekanter. Je später, desto besser. Je betrunkener, desto besser.
    Wieder ein gellender Protest, dann: »Bogey ist im Fernsehen. Du Schuft!«
    Sie war verschwunden. Ich hatte sie nicht einmal angesehen. Wilby stand vom Boden auf und kam zur Bar.
    »Haste schon mal überlegt, Mann« – sanft, nachdenklich –, »daß das menschliche Lebewesen als einziges weiß, daß es einmal sterben muß?« Mit einem verhaltenen Lächeln stellte er sein Glas auf die Bar. Ich goß beide Gläser rücksichtslos voll Whisky, als ich neue Laute vernahm: Schüsse und das Donnern von Pferdehufen vom Fernseher her. Laß den Kerl nur reden. Besäufnis kann die Zunge lockern – vielleicht sagte er etwas. Vielleicht.
    »Is auch das einzige Tier, das glaubt, daß nachher noch was kommt. Doch … das einzige Tier, das jemals seinen eigenen Tod wünscht.« Er hob sein Glas und trank. »Vielleicht brächte 'n Mensch nicht fertig, sich umzubringen, wenn er nicht an ein Danach glaubte.«
    Er setzte das Glas ab und begann eine ziellose Wanderung durch das Zimmer. Plötzlich schritt er mit aufflackernder Wildheit zur Bibliothekstür und schaute hinein. »Gott ist tot!« brüllte er und wirbelte zu mir herum. »Gott ist tot, und sie hockt da und schaut Humphrey Bogart beim Cowboyspielen zu!«
    Es war grotesk – aber auch merkwürdig traurig. Ich spürte allmählich hinter seiner groben, aufbegehrenden Wildheit und seinem latenten Hang zu Gewalttätigkeit ein gewisses Sehnen und Leiden. Einen Verlust. Aber ich wollte verdammt sein, wenn ich auf seine Gefühle Rücksicht nahm. Diesen Luxus konnte ich mir nicht erlauben!
    Wilby lächelte. »Meinste, ich hab' ne Meise? Glaubste, bei mir is 'ne Schraube locker?«
    Tat ich das? Früher war ich davon überzeugt gewesen. »Ich glaube«, entgegnete ich ruhig, »daß Sie etwas angeschlagen sind, unter anderem.«
    Er schüttelte den Kopf und nahm die Brille ab. »Will dir was verraten, Paps, 'ne Neuigkeit.« Er sprach sanft und sah trotz des Bartes wie ein Kind aus, wie ein verwirrter, ratheischender Junge. »Ich kann gar keine Schraube locker haben, weil die ganze Welt 'ne Macke hat. Wie kann einer verrückt sein, wenn alle verrückt sind. Kapito?« Er beugte sich vor. »Weißte, warum einige eingesperrt werden müssen? Weil sie Bescheid wissen. Sie haben's kapiert, also muß man sie aus dem Umlauf ziehen. Aus Angst, daß die anderen sonst auch dahinterkommen. Von Spott, Provokation und Widerspruchsgeist war nichts mehr übrig. Er schien zu bitten – oder war mein Geist so von Alkohol benebelt, daß ich es mir einbildete? Worum? Um Verständnis? Hilfe? Man muß sichergehen, daß sie nicht erkennen, was wirklich ist, denn wenn man jemals anfängt, es zu begreifen –«
    Er brach ab, aber ich führte seinen Satz zu Ende: »– dann tut es weh.« Erstaunen trat in seinen Blick, während ich mich noch fragte, was mich zu der Bemerkung veranlaßt hatte. War ich so betrunken? Berauscht genug, um Mitleid mit diesem grausamen,

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