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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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gefährlichen –
    »Willste mich durcheinanderbringen? Oder haste's etwa gefressen?« Gab es trotz allem doch eine Möglichkeit, an ihn heranzukommen? Wenn er solchen Schmerz empfand, hatte er vielleicht noch ein Restchen von Anstand, an dem er zu packen war?
    »Was gibt's hier?« Jenny – im Türrahmen zur Bibliothek. In einem kurzen, locker hängenden Nachthemdchen. Barfuß. Hand in die Hüfte gestemmt. Aufgebracht. »Gott ist also tot. Na und?«
    Wilbys Gesicht verdüsterte sich, als er sich langsam umdrehte.
    »Ich red' mit Paps«, warnte er sie mit einem drohenden Flüstern.
    »Reden! Ich werd' verrückt!«
    »Was wirste?« Und sein Rücken hob und senkte sich. »Gott ist also tot. Na und?« Unvermittelt änderte sich sein Gebaren: In seinem Gang lag neue Spannkraft. »Is ja egal. Das aus dem Mund einer Nutte!« Dann schlüpfte er offensichtlich in eine neue Rolle, zitierte: »Wir bleiben für immer zusammen –«
    »Lieber würde ich sterben«, konstatierte Jenny lapidar.
    Nun war er wieder der alte: in Hochstimmung. »Kein Ausgang! Ich hab's im College gespielt.«
    »Bevor sie dich 'rausgeschmissen haben«, sagte Jenny, ohne sich zu rühren.
    »Niemand hat mich 'rausgeschmissen!« widersprach Wilby fast brüllend. »Ich hab's so gewollt. Frag Jean-Paul. Ich hab's gewollt!« Und auf mich zutorkelnd: »Ich war prima, Paps. Ich bin 'n guter Schauspieler!«
    »Lausig«, sagte Jenny.
    Aber ich widersprach ihr: »Das bezweifle ich.«
    Wilby grinste. Na ja, es war ein Anfang. Aber mir schien, als habe er die Wahrheit gesprochen: Soweit ich es beurteilen konnte, hatte er immer gespielt, immer in irgendeiner selbsterdachten Rolle gelebt. »Ich gehöre doch zur Equity.«
    Equity? Schauspielergewerkschaft. Das mußte ich mir merken.
    »Nichts ist wirklich«, triumphierte Wilby. »Das weiß jeder. Was machst du dann, Paps? Genau was du sollst, du spielst den Leuten also was vor!« Dann wieder die Verwandlung: andere Stimme, andere Haltung, als sei er in ein neues Kostüm geschlüpft und stünde im Rampenlicht. »Also, das ist die Hölle. Niemals hätte ich geglaubt … Ihr entsinnt euch: Schwefel, Scheiterhaufen, Bratrost … Ach, ein Witz! Kein Rost erforderlich, die Hölle, das sind die andern.«
    Er brach ab und ließ die Worte in der Luft hängen.
    Ich schaute über seine Schulter auf Lydias Porträt.
    Er runzelte die Stirn, wippte auf und ab. Schließlich sagte er: »Der Himmel – sind das auch die anderen?« Er klang verwirrt und schaute mich ungläubig an. Sein Widerstreben, dies zu akzeptieren, stand deutlich auf seinem nackten Gesicht. »Haste das gedacht, Mann?«
    »Ja, so etwas Ähnliches«, antwortete ich.
    Ich setzte mich nieder, verschwendete keinen Gedanken an meine schmerzenden Beine, die fast unter mir nachgaben. Bestand trotz allem doch noch eine verschwindend kleine Chance?
    »Gehste in die Kirche, Paps?« Es war die Stimme eines Jungen, der seinen Vater etwas fragt, lässig, aber ohne den beißenden Hohn. »Nicht mehr.«
    »Warum?« Drängende Wißbegier, unverhüllt. »Warum?«
    Und mir fiel die Gedichtzeile ein, die mein Vater mit roter Tinte unterstrichen hatte, eine einzelne Zeile, die ich in einem seiner Bücher nach der Beerdigung entdeckt hatte. Wer bin ich, daß ich wagen dürfte, mit dir zu rechten?
    »Na, Paps?« Wilby stand vor mir, in jeder Hand ein Glas. »Warum? Haste's dir jemals ausgeknobelt?«
    Hatte ich das wirklich? Oder ging ich nur nicht mehr hin, weil die Kirchgänger Vater so übel mitgespielt hatten?
    Wilby ließ sich auf den Boden rollen und verfiel in einen nachdenklichen, sanften Singsang: »Man behauptet heute, die Sonne sei nur ein Stern … aus einer Wasserstoffwolke entstanden … die von den Überresten eines anderen Sterns verseucht worden ist … der vor vier – fünf Milliarden Jahren explodierte … das heißt … wenn ein Stern nur zehn Milliarden Jahre überdauern kann … daß die Sonne halbtot ist.« Er schaute mich nicht an, eher durch mich hindurch mit diesen blassen, blauen Augen, als wäre ich ein Hohlraum. »Und die Erde … nur ein Staubkorn … im Raum schwebend … wenn wir uns den Raum vorstellen könnten … wir wissen nicht einmal, was Zeit ist … und da oben ist niemand zu Hause … niemand, der herabblickt … nur Chaos, in dem wir Gesetzmäßigkeit erkennen wollen … weil wir uns für wichtig halten müssen … und uns an das Staubkorn klammern … als könne ein Mensch … Millionen von uns … wichtig sein … wenn

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