Sonst kommt dich der Jäger holen
Genugtuung.
»Franza, warum läufst du immer weg?«
»Ich bin nicht weggelaufen«, sagte ich trotzig. Dann musste ich lachen. »Okay«, gab ich zu. »Es stimmt.«
»Du lässt einen ganz schön im Regen stehen«, sagte er.
Ich unterdrückte die Bemerkung, dass es nicht geregnet hatte. »Ja«, sagte ich schlicht.
»Was macht dir Angst?«
»Ich hab keine Angst.«
Er schwieg.
»Höchstens, dass Flipper was zustoßen könnte.«
»Du passt prima auf ihn auf. Sag mir, wo du bist.«
»In deiner Nähe«, sagte ich.
Da lachte er. »Das weiß ich, du verrücktes Huhn.«
Ich kuschelte mich noch gemütlicher in das Bett. »Hätte nichts dagegen, dich live hier zu haben.«
»Wenn du mir nicht verrätst, wo du bist …«
»Das geht jetzt nicht«, bedauerte ich.
»Willst du mir was versprechen?«
»Was denn?«
»Ich möchte, dass du dich regelmäßig bei mir meldest.«
»Warum?«
»Weil ich dich kontrollieren will«, nahm er mir den Wind aus den Segeln. »Nur eine Weile.«
»Okay«, sagte ich.
»Also haben wir eine Vereinbarung.«
»Ja.«
»Und wie geht es dir jetzt, Franza?«
»Ich glaub, ich brauch ein paar Tage, bis ich diesen Überfall verdaut habe.«
»Das ist normal, Franza. So eine Situation kehrt das Unterste nach oben. Da wird einem schnell mal alles zu eng, und man rennt weg.«
»Rede nicht so mit mir!«
»Wie?«
»So offiziell.«
»Ich meine das nicht offiziell. Ich kenne mich eben aus mit … Ereignissen, die den Alltag sprengen. Und was du gestern erlebt hast, war definitiv ein solches Ereignis.«
»Ich hab noch mehr erlebt.«
»Ja?«
»Ich hatte Herrenbesuch.« Ich erzählte ihm von den beiden BKA lern.
»Verdammt«, murmelte Felix.
»Ich hab kein Wort von dir gesagt.«
»Das ist … nicht nötig, Franza. Du musst bei solchen Befragungen aufrichtig antworten. Mir macht etwas anderes Sorgen. Wenn sie bei dir waren … Wenn sie dich ausdrücklich gewarnt haben, dass du dich keinesfalls bei dem Haus der Russen blicken lassen sollst … Das gefällt mir gar nicht. Sag mal, kannst du nicht ein paar Tage verreisen?«
58
Ja, das konnte ich. Auf einmal schien sich alles zu lösen. Ich musste am Samstagmorgen einfach nur verschlafen und es nicht mehr zu meinem Yogaunterricht schaffen.
Das gelang mir in Andreas Gästezimmer ohne meinen Wecker hervorragend. Ich meldete mich krank. In allen Studios. Ich hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen. Ich musste mich erholen. Wenn auch nicht wegen eines aggressiven Darmvirus, sondern wegen der Russen. Gefährlich. Ekelhaft. Hoch ansteckend.
»Bleib bloß zu Hause, bis du völlig auskuriert bist.«
»Mach ich.«
Ich duschte und frühstückte ausgiebig. Die liebe Andrea war mit Flipper schon um halb sechs kurz draußen gewesen. Mit ihrem alten, meinem neuen, Handy bedankte ich mich per SMS und checkte dann meine Mails.
Hallo, Frau Fischer,
Sie sind uns empfohlen worden. Wir suchen kurzfristig für eine Geschäftsführerin für eine Woche eine Personal Trainerin für ein Bootcamp. Start Samstag. Frau Dr. Falk befindet sich in einem Fünfsternehotel im Allgäu. Dort sollte auch das Camp stattfinden. Wenn Sie Kapazitäten frei haben, melden Sie sich bitte umgehend. Selbstverständlich würden wir diesen kurzfristigen Auftrag entsprechend honorieren.
Mit freundlichen Grüßen
»Samstag! Das ist heute!«
Ich riss das Telefon an mich … und hatte Glück! »Soulution Group, guten Tag, mein Name ist Gunna Riebe, was kann ich für Sie tun?«
»Was kann ich für Sie tun?«, stellte ich die Gegenfrage und mich vor.
Ein Bootcamp hatte ich noch nie gemacht, was aber kein Problem war. Bootcamptraining stammt aus Amerika und wird dort eingesetzt, um kriminelle Jugendliche zu resozialisieren. Den Ansatz fand ich klasse, denn wer ausgepowert ist, hat auch keine kriminelle Energie mehr. In Deutschland wurde Bootcampen seit einiger Zeit als verschärftes Fitnesstraining angeboten und war ganz nach meinem Geschmack. Ich erfuhr, dass Frau Dr. Erika Falk sich in ihrem Wellnesshotel ein wenig langweile, sie sei ein sportlicher Typ und habe ihre Assistentin nun beauftragt, ihr eine Trainerin zu organisieren. Irgendetwas an der Art, wie Gunna Riebe sprach, kam mir komisch vor, und ich hatte den Verdacht, dass Frau Dr. Falk lange nicht so sportlich war, wie sie mich glauben machen wollte. Doch mir konnte es egal sein, und es war mir spätestens egal, als Gunna Riebe mir einen Tagessatz von siebenhundert Euro anbot. Hotel, Übernachtung, Verpflegung und diverse
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