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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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Mann, dessen Freundlichkeit an Impertinenz grenzte, nahm mir trotz meines Protests mein Gepäck weg, um es auf meine Suite zu bringen. Suite. Als ich in diesen hellen Räumen den gefüllten Hundenapf im Flur entdeckte, war ich regelrecht fassungslos. Flipper nicht. Er stürzte sich auf den Napf, bremste unmittelbar davor ab, schaute mich an.
    »Okay, die Hälfte«, erlaubte ich, was er natürlich anders interpretierte, die Hälfte wovon? Ich passte auf und stoppte ihn nach dreißig Sekunden. Flipper kaut nicht. Er schluckt das Trockenfutter einfach runter. Wenn ich ihm jedoch mal zwei homöopathische Globuli gebe, behandelt er die, als müsste er die unsichtbaren Potenzen kauend zurückerobern. Ich öffnete die Balkontür. Klare Bergluft. Bunte Wälder. Lange stand ich einfach nur und schaute. Tief in mir drin wusste ich, dass ich genau so etwas jetzt brauchte. Erholung.
    »Okay, schnapp dir den Rest«, gestattete ich Flipper, der angespannt neben dem Napf saß.
    Wir waren schließlich im Urlaub.
    Nein, waren wir nicht, wie sich am späten Samstagnachmittag herausstellte, als ich einen Anruf erhielt: Frau Dr. Falk erwartete mich im Kaminzimmer. Auf sie zugehend wusste ich, dass ich sie mir komplett anders vorgestellt hatte, ohne sagen zu können, wie. Jedenfalls nicht so. Sie war in meinem Alter, zirka eins fünfundsechzig, und alles an ihr wirkte eckig. Der Kurzhaarschnitt, das Gesicht, die Figur, sogar ihre Händedruck fühlte sich an, als würde sie mich in eine Schachtel pressen wollen. Ihr Mund war kastenförmig, ihre Nase breit und rechteckig. In ihrer Jugend hatte sie wahrscheinlich unter starker Akne gelitten; diese Reminiszenzen waren das einzig Runde, das ich auf den ersten Blick entdecken konnte. Dennoch war sie nicht unattraktiv, was an den warmen braunen Augen lag, die sich für mich jedoch sofort um ein paar Grad abkühlten, als sie zu reden begann. Da berlinerte es gewaltig. Eigentlich mag ich den Dialekt. Aber er hört sich kantiger an als der münchnerische.
    »Super, dass das geklappt hat«, freute Frau Dr. Falk sich und bot mir als Erstes das Du an. »Unter Sportkameraden.«
    »Franza«, sagte ich und stellte Flipper vor, den sie ignorierte. Solche Menschen gibt es. Die haben nichts gegen Hunde. Aber eben auch nichts für sie. Für die existieren Hunde einfach nicht. Sie sind wie Bäume am Straßenrand. Man ekelt sich nicht vor ihnen, aber man verspürt auch keinen Impuls, sie anzufassen oder sich gar über sie zu unterhalten. Und genauso verfuhr Flipper nach einer kurzen Schnupperprobe mit Erika.
    »Ich habe gedacht«, begann sie, »wir könnten vor dem Abendessen noch eine kleine Runde laufen. Ich habe hier«, sie breitete einen Plan aus, »mehrere Routen eingezeichnet, was ich mir gern ansehen würde, wir könnten zum Beispiel hinterm Haus hochlaufen, da steht diese Eibe, die soll der älteste Baum Deutschlands sein, und dann könnten wir rechts abbiegen nach …«
    Ich beugte mich über den Plan, um mir meine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. Wäre das nicht mein Job gewesen? Ich war für das Programm zuständig. Das hatte ich heute Abend zusammenstellen wollen, nach einem Informationsgespräch mit einem Mitarbeiter der Rezeption. Erika schien meine Verwirrung zu registrieren. Es nahm mich für sie ein, dass sie wegen der Kompetenzüberschreitung um Milde bat.
    »Ich hatte heute den ganzen Tag Zeit, mir Gedanken zu machen. Ich habe bloß an einer kleinen Wanderung teilgenommen, die bieten das hier an, ganz nett. Aber natürlich nichts, was befriedigt«, zwinkerte sie mir zu.
    »Klar«, nickte ich und fragte mich, ob sie mit der kleinen Wanderung die vierstündige Bergtour gemeint hatte, die auf einer Schiefertafel im Rezeptionsbereich ausschließlich für sportliche Wanderer empfohlen wurde. Als wir zwei Stunden später nach einer Stunde steil bergauf Rennen keuchend an einem Gipfel standen, schwante mir, dass ich diesen Aufenthalt nicht als Urlaub verbuchen würde. Ein Bootcamp war kein Bridgeclub, sondern die Hölle, und genau das brauchte Frau Doktor Erika Falk zu ihrer Befriedigung, und ich saß mit ihr in dem Boot.

61
    »Nein, das Fräulein Franza und der Herr Flipper sind nicht da«, sagte die alte Dame mit dem weißen Dutt am Samstagnachmittag durch den schmalen Spalt an ihrer Haustür zu Felix, während sie neugierig den Hals lang machte und nach rechts und links spähte, was ihr nur eingeschränkt gelang, da sie in ihrer Bewegungsfreiheit von der Sperrkette behindert war, die

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