Sonst kommt dich der Jäger holen
bei meiner Freundin Andrea übernachten. Von wegen, ich hätte keine! »Könnte ich mal kurz Ihr Handy benutzen?«, fragte ich eine Joggerin am Tierpark, die ihre Dehnungsübungen unterbrach, um Flipper zu streicheln, und hielt ihr fünfzig Cent hin.
»Flatrate«, lehnte sie ab und gab mir ihr Telefon.
Ich rief Andrea an.
»Was ist denn das für eine Nummer?«
»Erzähl ich dir später. Kann ich heute bei dir schlafen.«
»Na klar! Hast du Handwerker im Haus?«
»So ungefähr.«
»Wann willst du denn kommen?«
»In einer Stunde.«
»Prima. Ich mach uns eine Paella. Um acht ist sie fertig. Vergiss das Hundefutter nicht.«
»Niemals!«
»Willst du noch wo anrufen?«, fragte die Joggerin, die sich nur ungern von Flipper trennte.
»Ich wüsste nicht, wo«, log ich.
*
Sie legte eine schwarze Mappe auf seinen Schreibtisch. »Das ist gerade reingekommen. Jens und Peter waren gestern bei ihr. Von dem Überfall hat sie kein einziges Wort gesagt, trotz zigfachen Nachfragens nach Besonderheiten.«
Er öffnete die Mappe und las ein Dokument.
»Wir werden die Observationsgruppe auf sie ansetzen«, ordnete er an.
57
»Das ist ja unfassbar!«, rief Andrea, nachdem ich alles erzählt hatte, was mir selbst nun völlig unglaubwürdig erschien, in Andreas gemütlicher Wohnung sitzend, den Bauch voller Paella und Flipper zu meinen Füßen entspannt zusammengerollt.
»Und was sagt Felix dazu?«, wollte Andrea wissen.
»Das frag ich ihn am besten gleich mal«, sagte ich und schnappte mir Andreas Telefon. Andrea machte Anstalten, mich allein zu lassen, doch bei Felix sprang die Mailbox an. Ich würde es später noch mal probieren, denn Andrea hatte Rufnummernunterdrückung programmiert. Manche ihrer Patienten zeigten sich zu anhänglich.
»Vielleicht ist er gerade bei einer Observation und kann nicht telefonieren«, sagte ich leichthin.
»O, wie spannend!«, rief Andrea.
Für einen Moment überlegte ich, ob ich ihr von den ungelegten Eiern erzählen sollte. Eigentlich hätte ich es gern getan, doch Andrea hatte die Angewohnheit, alles, was ich klein halten wollte, stets riesengroß aufzublasen. Ich würde es ihr erzählen, sobald meine Regel ausblieb und ich einen Test gemacht hatte. Ich finde nicht, dass man Probleme mit der Lupe suchen und dann wie besessen betrachten muss. Mir genügt es, sie in eine Ecke zu kehren oder noch besser, vor die Haustür. Aber auch ein Teppich drüber ist gut, der wirkt wie ein Pflaster. Da war Andrea anderer Meinung, sie glaubte, unter dem Pflaster beginne es irgendwann zu schwären, zu eitern. Ich glaube, dass Dreck nicht eitert, ganz im Gegenteil, es entsteht neues Leben, Würmer und Einzeller und weiß der Kuckuck, der das Zeug dann auch gleich verdaut. Je länger ich mich einem Problem widme, desto größer wird es. Indem ich es ignoriere, entziehe ich ihm die Kraft zum Wachstum. Das klappte ziemlich oft. Leider nicht immer.
Andrea überließ mir nicht nur leihweise ein Handy, sondern auch ihr altes Arbeitszimmer mit Arbeitssofa, das sie nicht mehr benötigte, seitdem sie eine Praxis an der Wittelsbacherbrücke, die unsere Stadtviertel verband, unterhielt. Gemeinsam bezogen wir das Bett. Sie musste am nächsten Morgen um sechs zu einem Wochenendseminar aufbrechen und wollte um zehn im Bett liegen. Wir kicherten ein bisschen, und natürlich endete alles in einer Kissenschlacht, die Flipper so begeisterte, dass er ein Sofakissen anschleppte. Danach fielen wir schwer atmend auf das Bett. Andrea legte ihre Hand auf meinen Unterarm.
»Fühlst du dich eigentlich noch immer verfolgt?«, fragte sie.
Ich schwieg.
»Du fühlst dich also verfolgt«, stellte sie fest. »Im Grunde genommen ist es ja egal, ob man sich verfolgt fühlt oder verfolgt wird. Für einen selbst macht das keinen Unterschied.«
»Willst du mir irgendwas sagen?«
Andrea lächelte mich an. »Nein. Schlaf gut, Franza. Schön, dass du da bist.«
Sie streichelte Flipper über den Kopf und ging hinaus. Ich löschte das Licht und wartete eine Weile, ehe ich mich seitlich vors Fenster stellte und es vorsichtig öffnete. Mit langem Hals spähte ich hinunter. Der Verkehr floss ruhig. Alle Parkplätze waren besetzt. In keinem der Autos entdeckte ich eine aufleuchtende Glut. Niemand wusste, wo ich war. Niemand würde mich hier fotografieren. Ich kuschelte mich in das frühlingshaft duftende Bett und rief Felix an. Er ging sofort ran. »Du bist das! Wo bist du!«
»Bei einer Freundin«, sagte ich nicht ohne
Weitere Kostenlose Bücher