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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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Wir haben eine Abmachung. Buche heißt Landpartie, Eiche Isargassi.
    Von ganz allein fuhr der Volvo Richtung Andechs. Mal schauen, was die Mönche so trieben. Und nach einem ausgiebigen Gassi Frau Brandl besuchen. Ihr Zwetschgendatschi barg Suchtpotenzial.
    Die russische Familie war nicht zu Hause oder versteckte sich vor mir. Obwohl ich gut sichtbar einmal am Grundstück entlangmarschierte, öffnete sich kein Fenster, und niemand wollte mich vertreiben. Vielleicht waren die Kameras bloß Attrappen. Ich fand mich ein bisschen albern, weil ich ständig Nervenkitzel suchte, aber vielleicht konnte ich der jungen Frau helfen. Ihre Brüder sollten ruhig merken, dass ich ein Auge auf sie hatte. Eineinhalb Stunden streifte ich mit Flipper durch den leuchtenden Herbstwald bis zum Gut Hartschimmelhof.
    Als ich auf dem Rückweg zu meinem Auto noch einmal an der Villa vorbeilief, öffnete sich das Tor für einen roten Kangoo. »Stopp«, bremste ich Flipper mitten im Apportieren. Ricks Rohrservice, Gas, Wasser, Heizung aus Meisterhand fuhr langsam an uns vorbei. Neugierig lief ich zum Eingang der Villa. Der Blick vom Haus über den See hätte mich schon mal interessiert, einfach um zu wissen, in welcher Aussicht sich Schmiergeld präsentierte. Leider wurde mir das verwehrt. Da waren sie ja doch, die Gebrüder, nein, das war ein anderer. Ein kleiner Dicker diesmal. Auch er gehörte zur Familie, wie ich an seinen Umgangsformen zweifellos erkannte.
    »Weg! Privat!«
    Mit einer Drohgebärde kam er auf mich zu. Zu solchen Ausbrüchen hatten sich seine Verwandten bislang nicht hinreißen lassen. Sie waren auch attraktiver als dieser hier mit seinem feisten Gesicht, den Schlitzaugen und der Knollennase. Kein Verwandter ersten Grades, eher der verstoßene uneheliche Sohn. Bastard sagt man ja heutzutage nicht mehr, auch nicht zu Hunden übrigens, da bin ich empfindlich. Ich war zwar ohnehin auf dem Weg zu meinem Auto, doch ich bin nicht der Typ, der sich in Luft auflöst, sobald einem das irgendwer anschafft. So knotete ich erst mal mein Schuhband neu, und ich ließ mir Zeit dafür. Da tat der Russe etwas, womit ich niemals gerechnet hätte. Er versetzte mir einen Fußtritt an den Oberarm. Nicht wirklich fest, doch er genügte, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen, und ich rollte zur Seite. Sein »Weg!« und mein »Flipper!« vermischten sich zu einem Ruf. Mein Hund war schneller als der Schall, sprang dem Mann mit voller Wucht in den Rücken. Das »G« aus seinem Weg! grunzte der Russe bereits ins feuchte Laub. Mit Flüchen, auf deren Übersetzung ich keinen Wert legte, kam er auf die Beine, fletschte die Zähne. Flipper nahm die Herausforderung an und zog knurrend die Lefzen zurück. Eins zu null für ihn. Beim reinen Gebissvergleich schnitt der Russe mickrig ab. Das brachte ihn womöglich erst recht zum Rasen. Fahrig nestelte er an seiner Hose herum.
    »Ich stech ihn ab wie ein Wildschwein«, zischte er mit schwerer russischer Zunge, offenbar über Nacht in Wodka eingelegt.
    Mir wurde heiß. Natürlich hätte ich mich auf eine Diskussion einlassen können. Ich hätte den Gast aus Osteuropa darauf aufmerksam machen können, dass wir uns hier in Deutschland befanden, wo auch Wildschweine nicht einfach abgestochen werden. Ich hätte ihn auf die Folgen hinweisen können, die ein tätlicher Angriff nach sich zöge – ich hätte auch einfach weglaufen können. Der hätte mich nie eingeholt. Und ich hätte die Herausforderung annehmen können. Doch seit dem Messerkampf im Taubenschlag, aus dem Felix mich im Frühling gerettet hatte, reagierte ich empfindlich auf scharfe Klingen. Gelegentlich beim Duschen, wenn warmes Wasser meine Taille hinabrann, durchströmte mich das gruselige unbeschreibliche Gefühl, wie das Messer in meine Seite eingedrungen war.
    Flipper und ich verließen die Gegend. Nicht übermäßig schnell, doch wir trödelten auch nicht. Als wir auf dem aufgeschütteten Waldweg standen, überlegte ich, was ich unternehmen sollte. Felix anrufen? Dann müsste ich zugeben, dass ich schon wieder im Sperrbezirk patrouillierte. Das würde das unvergessliche Erlebnis von gestern beschmutzen. Wir hatten ein so leidenschaftliches Body Attac. Diesen Muskelschmerz wollte ich nicht unterbrechen.
    Abermals erfreute ich mich am Anblick des schönen Brandl-Hauses und blieb eine Weile vor dem Gartenzaun stehen, um es als Postkartenidyll in mich aufzunehmen. An Flippers schwachem Wedeln konnte ich ablesen, dass Hallodri nicht zu Hause war.

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