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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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heute auf der Messe. Da rufen sie in der Früh an, dass es dringend ist, mein Onkel ruft mich an. Ich soll alles stehen und liegen lassen und zuerst zu denen fahren – und dann schicken sie mich wieder weg. Sie wollen, dass mein Onkel selbst kommt. Ich also wieder zurück in die Firma, Stunden später soll ich wieder alles stehen und liegen lassen und sofort hin. Normalerweise würden wir solche ja warten lassen, Rohrfraß hin oder her. Aber klar will auch der Russe nicht, dass ein Rohr platzt. Da wird er dann schon mal tolerant.«
    Onkel Ricks Neffe, wie ich nun vermutete, riss ein Stück Leberkäs ab. Für Flipper, wie ich annahm.
    »Danke!« Die meisten Leute begreifen nicht, dass ein Hund am gesündesten nur von seinem direkten Vorgesetzten Futter entgegennimmt. Mit einem Schnapp war der Leberkäs weg.
    »Kauen is wohl nicht?«, fragte Onkel Ricks Neffe.
    »Leberkäs kauen?«, fragte ich nach.
    Onkel Ricks Neffe grinste.
    »Also tolerant fand ich den Russen nicht, der mir vorhin begegnet ist. Mir hat er fast ein bisschen Angst gemacht.«
    »Ja, die sind nicht gerade höflich. Aber sie zahlen sofort. Da fehlt sich nichts. Mein Onkel sagt, von der reinen Abwicklung her sind das sehr angenehme Kunden. Die wissen genau, was sie wollen. Da wird nicht ständig umdisponiert und storniert. Mein Onkel sagt, wenn alle deren Zahlungsmoral hätten, dann würden nicht so viele Handwerksbetriebe pleitegehen. Aber klar, die sind schon eigen. Die lassen auch nicht jeden ins Haus. Ich war zuerst nur im Erdgeschoss in der Küche. Aber ich musste ja in den Keller, um die Leitungen zu kontrollieren. Da durfte ich nicht einfach runter, da haben die vorher telefoniert. Keine Ahnung, mit wem. Und wenn du aus einem Raum rausgehst, machen sie immer die Tür zu, und du bist nie irgendwo allein. Sogar, wenn du mal aufs Klo musst, geht einer mit. Der wartet vor der Tür und bringt dich dann wieder an deinen Arbeitsplatz. Fremde Länder, fremde Sitten, sag ich da nur.«
    »Ja, vielleicht liegt es an der Sprachbarriere«, gab ich mich harmlos. »Wem gehört die Villa eigentlich?«
    »Einem steinreichen Geschäftsmann aus Moskau. Nix Genaues weiß man nicht. Die Rechnungen gehen an eine deutsche Firma. Aber Sie haben schon recht mit Ihrem komischen Gefühl. Diese Russen sind auch nicht beliebt hier, schon wegen den Bodyguards, das macht keine gute Stimmung.«
    »Bodyguards?«
    »Na ja, so sehen sie wenigstens aus. Große Kerle, die manchmal um das Grundstück schleichen. Haben Sie nicht eben einen gesehen?«
    »Der war klein und dick.«
    »Das ist der Hausmeister. Der wohnt aber nicht da. Anscheinend feiern sie gern Feste, also dieser Geschäftsmann aus Moskau. Der lädt seine Freunde hierher ein, vielleicht gehen sie ja auf die Jagd, was weiß denn ich. Jedenfalls fahren dann die wirklich dicken Schlitten durch den Wald, im Sommer war ein Maybach dabei. Diese Bonzen haben wiederum ihre Bodyguards, und es gibt Anwohner, die das nicht so gern sehen. Dabei haben alle ansässigen Betriebe prima verdient an dem Haus, da ist ja von allem nur das Beste und Teuerste verbaut worden. Die haben eine Wellnesslandschaft da unten drin, da schnallst du ab.«
    »Glauben Sie, das geht mit rechten Dingen zu?«, fragte ich ohne Umschweife.
    »Wo geht denn was mit rechten Dingen zu«, wollte Onkel Ricks Neffe wissen, »wenn viel Geld im Spiel ist?«

35
    Alice Ludewig wohnte in einem Gebäude, das man in Herrsching durchaus als Hochhaus bezeichnen konnte, im obersten Stockwerk, dem sechsten. Herrsching, ein beliebter Ausflugs- und Urlaubsort, für die Münchner auch mit der S-Bahn erreichbar, liegt am Ammersee, und wer über die nötigen Mittel verfügt, kann sich das auch beim Zähneputzen vor Augen halten. Alice Ludewig war dermaßen erschrocken von dem angekündigten Besuch der Polizei, dass sie zuerst einmal in Tränen ausbrach. So was gab es: Leute, die sich unter Verdacht fühlten, kaum tauchte die Kripo auf. Felix brauchte fünf Minuten, um ihr klarzumachen, dass er ihr nur einige Fragen zu ihrer früheren Tätigkeit als Telefonistin bei der Firma Puster stellen wollte. Sie führten denselben Dialog, den sie bereits am Telefon zweimal absolviert hatten. Alice Ludewig erklärte ausschweifend, dass sie Gerd Jensen praktisch nicht gekannt habe. Dabei rauchte sie eineinhalb Zigaretten. Sie war eine jener Frauen, die man von hinten für Mitte zwanzig halten konnte. Klein, zierlich, blond – und von vorne sah sie gut zehn Jahre älter aus als Ende fünfzig,

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