Sonst kommt dich der Jäger holen
kombiniert. Pausen gibt es nur, wenn jemand trinkt, wobei Profis das auch im Laufen erledigen. Manche kommen mit drei Trinkflaschen in die fünfzig Minuten. Ich musterte die Leute, die nach und nach eintrudelten, und hoffte, dass es eine bestehende Klasse war, keine Anfänger, die frustriert scheitern mussten, aber wer nicht mithalten konnte, ging sowieso freiwillig raus, so lange er noch gehen konnte.
Um Viertel nach acht bat ich den letzten Teilnehmer, die Tür zu schließen, und drückte auf Play. Um 20:17 kam Felix Tixel herein, ganz in Schwarz, ein rotes Handtuch über der Schulter. Für einen Moment wurden meine Knie schwach. Natürlich war mir nicht verborgen geblieben, dass er viel Sport machte. Aber doch bitte nicht in einem Fitnessstudio; im Krankenhaus hatte er mir einen Jogginganzug geliehen mit dem Logo vom Polizeisportverein. Na, mal sehen, wie fit sie dort waren.
Um 20:23 Uhr verließen die ersten beiden Teilnehmer das Feld.
Um 20:30 Uhr waren wir noch zu zwölft.
Um 20: 41 Uhr zu sechst.
Ab 20:45 Uhr zu zweit.
Er und ich.
Draußen vor der Glasscheibe ein Dutzend Zuschauer, das unser Duell beobachtete. Ich hatte ein Handicap: das Headset. Ich musste sprechen, und er hörte meinen definitiv zu schnellen Atem, den ich am liebsten ruhig wie bei einer Entspannungsübung hätte fließen lassen. Doch mit diesem Wunsch stieß ich an meine Grenzen. Keuchend schenkte ich mir nichts. Und ihm erst recht nicht. Ich jagte ihn unterbrochen von Liegestützen, Klimmzügen, beides auch einarmig, Crunches und den schlimmsten Folterübungen, die mir einfielen, durch die Halle. Und mich. Dabei geriet ich völlig außer Kontrolle. In einem Zustand der Raserei schüttete ich Endorphine aus wie eine verliebte Weltmeisterin; Franza im Rausch. Auf einmal war es fünf nach neun. Keine Zeit mehr für Muskelentspannung. Schlechtes Timing. Durchgefallen. Saskia sah das anders. Sie riss die Tür auf und gratulierte mir. Dann fragte sie Felix: »Alles okay? War vielleicht ’n bisschen heftig für ein Probetraining?«
»Keine Spur«, japste Felix.
Saskia lachte. »Franza, kommst du, bevor zu gehst, noch kurz zu mir ins Büro?«
»Servus«, verabschiedete Felix sich von mir, als hätte er mich noch nie gesehen. »Und danke. Das war … unvergesslich.«
Saskia schaute ihm nach mit blitzendem Gebiss. »Knusprig!«
Eine halbe Stunde später hatte ich wider Erwarten ein traumhaftes Angebot in der Tasche. Mit keinem Wort hatte Saskia den Aufbau meines Workouts bemängelt. Sie bot mir an, mich einigen High Potentials zu vermitteln. Leute, die gern extrem hart trainierten – aber aus beruflichen Gründen oft keine Zeit vor einundzwanzig Uhr hatten und somit die letzten Classes verpassten. Das Studio wollte mich als Special-Mastercoach – »einen Namen überlegen wir uns noch« – offerieren.
»Der Typ von vorhin, da bin ich sicher«, grinste Saskia zum Abschied, »das ist dein erster Fan.«
31
»Alles okay, Felix?«, fragte Johannes Winter am Freitagmorgen als er hinter Felix das kleine Besprechungszimmer betrat.
»Ja.«
»Du gehst irgendwie komisch. Tut dir was weh?«
»Alles«, stöhnte Felix und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Was macht die Kontenüberprüfung?«
»Fast abgeschlossen. Einen vorzeitigen Ruhestand hätte Jensen sich nicht leisten können. Die Finanzierung für sein Haus läuft bis zu seinem fünfundsechzigsten Lebensjahr. Biobau, das geht ins Geld.«
»Und die Witwe?«
»Arbeitet halbtags in einer Apotheke …«
»… ich erinnere mich, danke!«
»… Soweit ich weiß, ist kein weiteres Vermögen vorhanden, da bin ich noch dran.«
»Das ist natürlich ein Dilemma, wenn man das schöne Biohaus kaum genießen kann, weil man tausend Kilometer weit weg davon arbeitet, um es zu finanzieren. Eine solche Entfernung wirkt sich auch nicht gerade günstig auf die eigene Biobilanz aus.« Felix massierte gedankenverloren seinen rechten Oberschenkel.
»Ich habe noch was rausgekriegt, Felix. Hat aber nichts mit dem Fall zu tun.«
»Aha?«
»Die Skorpion, die war sehr beliebt seinerzeit bei den Roten Brigaden. Aldo Moro, das war ein italienischer Politiker, wurde mit einer erschossen.«
»So, so. Das hat also nichts mit dem Fall zu tun, deiner Meinung nach?«
»Äh, nein? Da haben wir doch klare Anweisung.«
»Genau, Johannes. Und deshalb will ich es auch nicht wissen. Was hast du noch? Das mit Aldo Moro habe ich auch gefunden: bei Google.«
»Äh, was ich noch habe?«
Felix grinste.
»Ich weiß,
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