Sonst kommt dich der Jäger holen
abrutschen in Hartz IV .« Sie zündete sich die nächste Zigarette an.
»Kann Ihr Sohn Sie unterstützen?«
»Niemals würde ich das wollen! Niemals!«, rief Frau Ludewig aufgebracht.
»Also ich würde meiner Mutter jederzeit was geben, sollte sie knappsen«, gestand Johannes freimütig und fügte dann ein zerknirschtes »und wenn ich es mir leisten könnte« hinzu.
»Aber Ihre Mutter würde das nicht annehmen«, gab Frau Ludewig auch Johannes Zucker in den Kaffee.
Der reagierte nicht so empfindlich wie Felix, vielleicht weil er noch nicht so lange abgestillt war.
»Es hätte mir sehr geholfen, wenn ich noch ein Jahr länger bei Puster hätte bleiben können«, betonte Frau Ludewig.
»Gab es Fürsprecher?«
»Natürlich waren meine Kollegen traurig, aber da kann man nichts machen. Das waren die Chefs, die das entschieden haben.«
»Die Chefs oder einer, der Herr Jensen?«
»Von ihm ging es aus. Er wollte Kosten senken. Ich bin ja nicht die Einzige, die es getroffen hat.«
»Und warum war er so erpicht auf diese Einsparungen? Puster und Bittermann stehen beide prima da. Das sind von Grund auf solide und gesunde Unternehmen. Und das Einsparen und Umstrukturieren war laut Firmenleitung gar nicht die Aufgabe des Herrn Jensen?«
»Das kann schon sein, aber der Herr Jensen wollte es eben besonders gut machen. Das habe ich im Übrigen nicht erfunden, das habe ich von seiner Sekretärin, die hat mir da mal was erzählt …«
»Ja?«
»Er wollte denen in Kiel zeigen, was für ein hervorragender Mitarbeiter er ist. Er wollte denen beweisen, dass es ein Fehler war, ihn ins bayerische Exil zu schicken.«
»Das verstehe ich jetzt nicht. Damit würde er doch geradezu untermauern, dass sie mit seiner Versetzung das Richtige getan haben.«
»Irgendwann ist fertig eingespart, und dann hätte er wieder zurückgekonnt. Wir vermuten, dass er irgendeinen Bock geschossen hat. Wir glauben, dass er praktisch zwangsversetzt wurde. Dem hat es nicht gefallen bei uns. Der wollte eine Scharte auswetzen, damit er heimdarf.«
Felix rührte sehr lange in seiner Kaffeetasse, obwohl er nur ein wenig Milch hineingeschüttet hatte. »Woran haben Sie es denn gemerkt, dass der Herr Jensen unglücklich war?«
»Wenn man normal mit ihm geredet hat, wollte er das übersetzt haben.«
»Er hat sich über den Dialekt beschwert?«, staunte Johannes.
»Ja. Und er hat keine Gelegenheit ausgelassen zu betonen, dass bei ihm da oben alles besser wäre. Die Abläufe, die Struktur, die Geschäftsbeziehungen – einfach alles. Ja, der konnte einem sogar erklären, dass die Bürostühle da oben besser waren. Obwohl wir denselben Lieferanten wie die da oben hatten, waren die Stühle in Kiel bequemer, ergonomischer, orthopädisch gesünder. Der hat an allem und jedem was gefunden. Uns hat er sich als Retter hingestellt – den wir gar nicht gebraucht hätten. Also haben wir den Verdacht gehabt, dass die da oben den Gschaftlhuber loswerden wollen. Dazu haben sie die Fusion genutzt.«
»Hatte der Herr Jensen vielleicht finanzielle Probleme, wissen Sie da etwas?«, fragte Johannes.
»Nein, da weiß ich nichts, aber der hat bestimmt zwanzigmal so viel verdient wie ich. Seine Flüge und Zugfahrten nach Kiel, die hat er obendrein bezahlt gekriegt.«
»Tatsächlich?«
»So einer zahlt doch nicht für seine Wochenendheimfahrten. Unsereins würde das schon bezahlen. Aber so einer, der zahlt auch nicht für seine Wohnung, weil das dann nämlich eine Dienstwohnung ist.«
»Sie haben seit der Lehre bei Puster gearbeitet?«, fragte Felix.
»Ja. Wir sind eine große Familie gewesen.«
»Und alle haben sich gut verstanden.«
»Ja. Also noch schöner war es in der Ära vor dem Direktor Happach, als wir noch unseren Direktor Briegel hatten.«
»Und der Direktor Happach?«
»Der kämpft ja auch um seinen Posten mit denen in Kiel. Eigentlich kümmert er sich nicht mehr um das Tagesgeschäft. Da steht jetzt die Politik im Vordergrund. Also ich sag manchmal zu mir, Alice, sag ich, die besten Jahre in der Firma sind vorbei. Du hast eine so schöne Zeit bei Puster gehabt. Unsere Betriebsausflüge, die vielen Geburtstage, Feiern, es hat immer einen Grund zum Lustigsein gegeben. Ich bin gern in die Arbeit gegangen. Als ich dann aussetzen musste wegen dem Benny, das ist mir nicht leichtgefallen. Aber der Direktor Briegel hat mich ja gleich wieder genommen, und es waren alle immer sehr verständnisvoll, wenn ich mal zu Hause bleiben musste. Masern, Windpocken, Mumps.
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