Sonst kommt dich der Jäger holen
So was würde ja heute gar nicht mehr gehen. Ich glaube, das liegt an der Computerei. Mit denen hat alles angefangen. Also meine ich schon, dass sie mir, aus Treue vielleicht, das eine Jahr noch hätten gewähren sollen. Und es ist nicht so, dass ich mich geweigert hätte, einen Computer zu lernen. Ich habe ja zum Schluss einen gehabt. Für die Telefonvermittlung. Klick, klick, das war überhaupt kein Problem für mich. Das hat mir sogar Spaß gemacht. Der Systemadministrator hat gemeint, in mir würde eine kleine Hackerin stecken. Also ich hätte es da weit bringen können, wenn man mich gelassen hätte.«
»Der Gerd Jensen. War der beliebt?«, fragte Felix.
»Eher nicht.«
»Verhasst?«, hakte Johannes nach.
»Also das würde ich auch nicht sagen.«
»Wer hat ihn am wenigsten gemocht?«
»Das weiß ich nicht.«
»Was ist mit dem Franz Brandl?«
»Der arbeitet auch bei uns.«
»Waren die beiden … sich feindlich gesonnen?«
»Freunde waren sie keine.«
»Sondern?«
»Wie gesagt, die schönen Zeiten waren vorbei.«
»Frau Ludewig, warum winden Sie sich so?«
»Ich winde mich nicht! Ich möchte einfach nicht schlecht über andere sprechen und auch nicht schlecht über das sprechen, was gewesen ist. Das macht einen so negativ. Es ist ohnehin nicht leicht für mich, ich habe sechsundvierzig Absagen bekommen. Jeden Morgen kratze ich meine Selbstachtung zusammen, um Bewerbungen zu schreiben. Wer nimmt mich denn noch mit sechzig? Wer?«
»Hat der Gerd Jensen die Laika erschossen?«
»Welche Laika?«
»Den Hund, der auf dem Foto in Ihrem Flur zu sehen ist«, half Felix ihr auf die Sprünge.
Johannes starrte Felix an.
»Ach der. Der Hund. Ach Laika hat der geheißen. Ja, das stimmt. Das war ein Geburtstag von der Walli.«
»Sind Sie mit der Familie Brandl befreundet?«
»Wir von Puster, wir waren alle miteinander befreundet irgendwie. Wie gesagt: Wir waren eine große Familie.«
Felix hatte die Faxen dicke. Er wollte gerade eine härtere Gangart einlegen, als sein Handy klingelte. Missmutig schaute er auf das Display. »Tixel.« … »Nein!« … »Was? Wo? Das glaub ich nicht!«
»Frau Ludewig, wir müssen weg. Wir melden uns die Tage noch mal. Danke für den Kaffee.«
»Was ist denn los?«, fragte Johannes im Hausflur.
»Wir haben einen neuen Mord.«
Er riss die Augen auf. »Echt?«
»In dreißig Minuten fängt die Besprechung an.«
»Darf ich?«, fragte Johannes im Wagen.
»Aber sicher«, erwiderte Felix und reichte ihm das Blaulicht.
36
Am Samstagmittag, als ich nach dem Poweryoga mit nassen Haaren vor Enzos Sportstudio stand und alle irgendwas vorhatten, alle irgendwohin mussten, bloß ich nicht, hätte ich beinahe Andrea angerufen, um sie zu fragen, warum Felix sich nicht bei mir meldete. Als Psychologin konnte sie mir das vielleicht erklären. Aber es würde mir nicht gefallen, zu jenen Frauen zu gehören, die in Ermangelung der Habhaftwerdung eines Mannes mit ihrer Freundin konferieren, um zu klären, was er meint, was er denkt, was er fühlt – auch wenn er selbst das ganz anders beurteilen mochte. Wie sollte sich ein Mann ohne Hilfe einer Frau in seiner Psyche zurechtfinden … Allzu oft hatte ich solche Gespräche in Umkleidekabinen genervt mitgehört. Hatten die keine anderen Sorgen? Das war das Schlimme. Dass einen die Sehnsucht nach Liebe veränderte – einen für das Glück disqualifizierte. Ich hatte so viele Jahre gebraucht, mich selbst zu gewinnen und das Leben zu mögen. Ich würde das nicht aufs Spiel setzen. Nie mehr sollte mir jemand so wichtig werden, dass ich ohne ihn abstürzte. Das war abgehakt! Aber man konnte ja mal anrufen. Auch wenn man befürchten musste, nach dem Grund für den Anruf gefragt zu werden. Felix fragte aber nicht. Seine Stimme klang müde. Ich hörte, dass er sich über mich freute. Und das machte alles ganz einfach. Wir telefonierten fünf Minuten wie ganz normale Menschen. Wie geht es dir. Was machst du. Wie geht es Flipper. So als gäbe es keine Leichen zwischen uns. So als hätten wir uns beim Einkaufen kennengelernt oder an der Langhantel. So als wäre er nur Felix Tixel, ganz ohne Kommissar. Und der lud mich zum Essen ein. Heute Abend.
»Aber du müsstest zu mir kommen, meine Tochter schläft bei mir.«
Nein, es war nicht unkompliziert. An einem unbeschwerten Paar hingen keine Kinder dran und Exfrauen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich schämte mich sofort für meine Gedanken. Deswegen verschwanden sie aber nicht.
»Danke für
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