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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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hätte Sie bestimmt morgen angerufen. Von mir aus hätte ich Ihnen das gleich noch gesagt, aber es hat Ihnen ja so pressiert. Sie mussten los. Ihre Quarktasche haben Sie gar nicht aufgegessen.«
    »Da bin ich jetzt aber mal gespannt, was Sie vergessen haben.«
    »Ja, das war nämlich so«, begann Frau Ludewig und zündete sich eine Zigarette an. Und dann erzählte sie das, was Felix im Großen und Ganzen von Laura schon wusste.
    Im Führungskreis der Waffenschmiede Puster/Bittermann hatte es einen heftigen Streit gegeben, als Gerd Jensen die Entlassung von Alice Ludewig als unverzichtbar bezeichnete. Doch dann hatte er Zahlen auf den Tisch gelegt, und niemand hatte es angesichts dieser Fakten gewagt, der Telefonistin ein Gnadenbrot zu gewähren. Man war schließlich eine Firma, kein Sozialamt. Zum Führungskreis gehörten außer Direktor Happach, Gerd Jensen und Franz Brandl noch drei weitere langjährige Mitarbeiter, die sich durch schweigende Zustimmung auszeichneten – einen davon hatte Laura Lichtenstern bereits befragt – obwohl sie Alice Ludewig seit Jahrzehnten kannten.
    »Das hätte ich von denen nie geglaubt«, flüsterte Alice Ludewig. »Ich habe geglaubt, wir halten zusammen, egal, was kommt und auch, wenn es mal Spitz auf Knopf steht. Die hätten doch gar nicht viel tun müssen, außer Nein sagen. Da wird doch abgestimmt.«
    Nur ein Einziger in der Runde hatte sein Veto eingelegt: Franz Brandl. Dieser Einspruch sei von Gerd Jensen auf eine überhebliche und verletzende Art abgeschmettert worden, worauf Franz Brandl einen cholerischen Anfall erlitten und Gerd Jensen auf das Heftigste beschimpft, von seinem Stuhl gerissen und mehrfach gewatscht habe. Alle waren entsetzt, so entsetzt, dass es eine Weile gedauert habe, bis man sich von dem Schrecken erholt habe und Franz Brandl von Gerd Jensen wegzerren konnte. So heiß die Wut von Franz Brandl, so kalt die von Gerd Jensen. Der habe umgehend die fristlose Kündigung von Franz Brandl verlangt – dann habe er das Zimmer verlassen, mit starkem Nasenbluten.
    »Ja, man hätte ihm kündigen müssen«, hatte einer der drei stummen Führungskreisteilnehmer Hauptkommissarin Laura Lichtenstern gestanden. »Aber der Brandl Franz ist unser Starverkäufer. Da wurde es dann so gedreht, dass er praktisch in sozialem Überengagement überreagiert hätte. Er sollte sich bei Gerd Jensen entschuldigen. Was er nie getan hatte. Der Franz hat nicht mal eine Abmahnung bekommen, aber die Alice, die ist gefeuert worden. Gerade so, als wäre sie schuld an allem.«
    »Und warum haben Sie nicht dagegen gestimmt«, hatte Kommissarin Lichtenstern gefragt.
    »Ich allein. Ich hätte doch da nichts ausrichten können.«
    »Aber es wäre ein Anfang gewesen. Vielleicht hätten dann auch die anderen Mut geschöpft.«
    »Wenn ein anderer die Hand gehoben hätte, ich hätte sofort mitgemacht. Aber anfangen …«
    »Einer hatte doch bereits dagegen gestimmt! Franz Brandl!«
    »Ja, aber einer ist quasi keiner, zwei wären schon besser gewesen.«
    »Wenn Sie die Hand gehoben hätten, wären Sie bereits zu zweit gewesen.«
    Als Laura Lichtenstern Felix diesen Dialog erzählt hatte, war ihm die Sache mit der Zeichnung der Skorpion an der Pinwand im Besprechungszimmer eingefallen, die Laura ihm gebracht hatte, damit er keine Schwierigkeiten bekam. »Du hättest die Hand gehoben, Laura?«, vermutete er.
    »Natürlich!«, rief sie. »Du etwa nicht?«
    »Haben Sie denn wenigstens eine Abfindung bekommen?«, fragte Felix Alice Ludewig, was Laura noch nicht herausgefunden hatte.
    »Ja, schon. Da hat sich der Franz für mich eingesetzt. Deshalb ist sie bedeutend höher ausgefallen als das Angebot, das sie mir zuerst gemacht haben.«
    »Und warum hat er das getan, der Franz?«
    »Weil er ein gstandnes Mannsbild ist.«
    »Und am darauffolgenden Wochenende ist der Hund von seiner Tochter erschossen worden.«
    Alice Ludewig seufzte schwer.
    »Haben Sie das auch vergessen?«
    Sie schüttelte den Kopf. Aufrichtig bekümmert sah sie aus. »Nein. Natürlich nicht. Das hat dem Franz das Herz zum zweiten Mal gebrochen.«
    »Und? Wer war’s?«
    »Woher soll ich denn das wissen?«
    »Und was hat der Franz gemeint, wer es war?«
    »Ich kann doch nicht in den reinschauen.«
    »Ich dachte, Sie wären alle eine Familie.«
    Alice Ludewig riss routiniert eine neue Schachtel Zigaretten auf. Es hatte etwas Einladendes, wie sie das silberne Papier von den Köpfen zog und dann mit einem dumpfen Geräusch eine Zigarette

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