Sonst kommt dich der Jäger holen
natürlich an. Ein Bayer lässt sich nun mal nichts anschaffen, schon gar nicht von einem Preußn, da geht der Bayer in den passiven Widerstand, und genau des is dem Jensen passiert. Und wie ich ihm das sagen hab wollen, hat er es nicht verstehen wollen und gemeint, die Leut hier müssten sich ihm anpassen. Ja mei. Da kann er warten, bis er schwarz wird. Mir tut’s leid, weil a Schlechter wara ned. Er hat halt des Problem ghabt, dass er ned reden hat können mit die Leut. Des hab ich auch zu meinen Kollegen gsagt, wenn die mich gfragt ham, warum der so gschraubt daherredt. Und wie er dann verlangt hat, dass ma mit eam Hochdeutsch reden soi, ja mei! Ab da hat ja sogar die Kamm Miri, und die ist verheiratet mit einem aus Eckernförde, ganz oben ist das, ab da hat sogar die Miri bayerisch gredt, verstengans? Obwohl es für die ja ein Leichtes gwesn wär, weil die so ein Exemplar quasi daheim hat. Wos i song wui: Des hot der nicht verdient, der Herr Jensen. Mir tut des aufrichtig leid um eam. Und ich kann eam nichts Schlechtes nachsagen, schon gar nicht von seiner Arbeit her. Aber ich hab immer gewusst, dass der ned lang bei uns bleibt. Ein, zwei Jahr, dann is er weg, hab ich denkt. Aber mit weg hab ich natürlich nicht weg wie weg gmeint, sondern weg wie Kiel, verstengans?«
38
Keine Fehler, Franza, beschwor ich mich. Deshalb rief ich vor meinem Rendezvous mit Felix bei Andrea an. Denn ich wusste nicht, ob ich ihm sagen musste, dass ich in der Waffenschmiede Puster ein Gespräch belauscht und eine unerfreuliche Begegnung mit einem dicken Russen gehabt hatte. Wieso sollte ich ihm diese Puzzlestücke, die ich nicht zuordnen konnte, vor die Füße werfen. Ich wollte ihm das fertige Bild präsentieren: den gelösten Fall. Auf einem Silbertablett wollte ich ihm die Herkunft der Skorpion servieren.
»Lieber nicht«, riet Andrea mir. »Behandle den Abend doch einfach als das, was er ist: Eine Essenseinladung von einem Mann, an dem dir liegt.«
»Da bin ich mir nicht mehr so sicher«, behauptete ich.
Sie lachte laut auf, und ich war ihr dankbar dafür, dass sie es dabei beließ. Niemand konnte meine angeblichen Defizite so gut erklären wie die Ärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapeutin Dr. Andrea Witsch.
Ein Praxistipp wäre mir lieber gewesen. »Hast du irgendein Mantra für mich? Etwas, was ich denken kann, wenn der Abend droht zu entgleisen?«, bat ich sie.
»Was verstehst du unter entgleisen?«, wollte sie wissen.
Da fiel mir auf, dass es eine Art von Entgleisen gab, die ich durchaus schätzte, auch wenn sie alles komplizierter machte.
»Es ist wegen …«, begann ich und wollte gerade Felix’ Tochter ins Spiel bringen. Dafür hatte Andrea bestimmt auch Fachtermini im Angebot, Öditussi und Brustneid oder so. Aber vielleicht sollte ich es lieber nicht thematisieren. Vielleicht wäre es dann einfach weg. Und das war wesentlich gesünder für mich, weil diese Kindergeschichten viel zu tief in meine Vergangenheit führten.
»Ja?«, fragte Andrea.
»Seit ein paar Tagen habe ich öfter das Gefühl, ich werde beobachtet«, warf ich Andrea zur Beschwichtigung ein Almosen zu, um den Neid aufs Kind einzudämmen. Ich belog sie nicht, das entsprach der Wahrheit.
»Posttraumatisches Belastungssyndrom«, diagnostizierte Andrea. »Ehrlich gesagt überrascht mich das nicht. Nach allem, was du erlebt hast. Erst der Leichenfund. Dann wärst du fast ermordet worden …«
»Und was soll das sein?«
»Eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis. Oft treten die Reaktionen, die unter dem posttraumatischen Belastungssyndrom zusammengefasst sind, erst Monate oder gar Jahre nach dem Ereignis selbst auf.«
Das war mir nun auch nicht recht. Ich hatte einen Ausgang gesucht, keine Gummizelle. »Aber ich hab kein Syndrom, sondern den Eindruck, ich werde beobachtet!«
»Das kann sich ganz verschieden äußern. Beobachte es.«
»Ich soll beobachten, dass ich beobachtet werde?«
»Ja, und du sollst die Wahrheit sagen.«
»Welche Wahrheit?«
»Du rufst doch bestimmt auch deshalb an, weil du nicht weißt, was du anziehen sollst?«
Damit täuschte sie sich auf der ganzen Linie. Ich nahm das Angebot sofort an. »Du hast mich durchschaut«
Das gleiche Problem schien Felix auch zu haben. Er stand in Jeans mit nacktem Oberkörper in seinem Flur und rief: »Ich bin gleich fertig!«
Zuerst sah ich ihn von hinten. Die Zärtlichkeit, die ich für ihn empfand, überraschte mich selbst. Er drehte sich zu mir um. Was
Weitere Kostenlose Bücher