Sonst kommt dich der Jäger holen
Schultern.
»Wie alt ist er überhaupt?«
»Achtundsiebzig. Und schlecht zu Fuß.«
»Du hast ihn vernommen?«
»Ich habe es versucht. Er hat verlangt, mit einem Kommissar zu sprechen, nicht mit einer Bürokraft.«
»Sapperlott! Was ist mit Bert?«
»Zahnarzt.«
»Schon wieder?«
»Immer noch. Übernimmst du?«
»Kommst du mit?«
»Nein, danke. Ich bin froh, wenn ich den los hab. Unter uns: Der müffelt ein bisschen. Womöglich hat er die Unterhose nicht gewechselt, oder es ist schon wieder was passiert.«
Hans Kreitmayer hatte ein für sein Alter erstaunlich rosiges und faltenarmes Gesicht, in dem eine relativ kleine Nase das auffälligste Merkmal darstellte, zudem war der Abstand von der Nase zur Oberlippe ungewöhnlich breit. An Hans Kreitmayers Stuhl lehnten zwei graue Krücken.
»Grüß Gott«, sagte Felix. »Mein Name ist …«
»Glauben Sie, ich hab meine Zeit gestohlen?«
»Felix Tixel«, vollendete Felix. »Hauptkommissar.«
»Im Herbst gibt es die meiste Arbeit im Garten. Da kann ich keine Ewigkeit bei Ihnen rumhocken!«
»Dann fangen wir doch am besten gleich an.« Felix setzte sich Hans Kreitmayer gegenüber und hoffte, es würde nicht zu lange dauern. Manche Vernehmungen zogen sich zehn, zwölf, vierzehn Stunden in die Länge. Und Hans Kreitmayer müffelte wirklich.
»Kann ich mal was zu trinken haben? Oder gehört das zum System? Austrocknen lassen?«
»Wasser? Tee? Kaffee?«
»Bier?«
»Hamma ned.«
»Saftladen. Wasser.«
Felix bestellte das Gewünschte. »Ich würde gern im Mordfall Gerd Jensen mit Ihnen sprechen. Wie ich sehe, haben Sie bereits die Einwilligung unterzeichnet, unser Gespräch aufzunehmen und …«
»Wer hat geredet?«, fragte Kreitmayer.
»Wie meinen Sie?«
»Bei Puster. Irgendeiner hat nicht dichtgehalten. Wer war das? Das kann keiner von den Alten gewesen sein! Das muss irgend so ein Neuer gewesen sein. Wer?«
»Was meinen Sie mit dichtgehalten?«, fragte Felix nicht ohne innere Häme. Es gab genügend Menschen, die konnte er besser riechen als diesen hier, was er sich selbstverständlich nicht würde anmerken lassen.
»Ja, warum bin ich denn hier? Warum lassen Sie mich abholen? Ab-ho-len?«
»Weil wir mit Ihnen sprechen wollen. Das hätten wir auch bei Ihnen zu Hause tun können. Soweit ich weiß, sind Sie freiwillig mitgekommen.«
»Freiwillig!«, rief Hans Kreitmayer. »Da steht die Polizei vor deiner Tür und redet von freiwillig! Ich will nicht abgeholt werden. Ich habe da schlechte Erfahrungen.«
Hans Kreitmayer musterte Felix durchdringend. »Mein Großvater ist auch mal abgeholt worden.«
Schnell rechnete Felix im Kopf nach. »Das tut mir leid«, sagte er dann. »Da haben wir Sie heute in eine unangenehme Situation gebracht. Aber wir holen täglich viele Menschen zu Befragungen ab. Wir tun das nicht, um sie zu ärgern, sondern um Verbrechen aufzuklären. Und deshalb sitzen wir jetzt auch hier. Ich würde gern von Ihnen wissen, was Ihre Bemerkung in der Puster-Cafeteria bedeutet, Sie hätten die Sache Jensen erledigt, respektive bereinigt, respektive geklärt. Was haben Sie damit gemeint?«
Hans Kreitmayer kniff die Lippen zusammen.
»Haben Sie das nur so dahingesagt?«, fragte Felix, was er vermutete. Kaum hatte er es ausgesprochen, merkte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Kreitmayer war einer von den notorischen Widersprechern. Wenn man zu so einem sagte, dein Pullover ist blau, behauptete der, nein, der Pullover wäre grün, weil er es nicht ertrug, dass ein anderer ihm etwas über sich sagte.
»Nein!«, schoss Kreitmayer.
»Und was haben Sie dann damit gemeint, dass Sie die Sache erledigt hätten?«
»Ja, was wohl?«
»Das frage ich Sie.«
»Ich will Ihnen mal was sagen, junger Mann«, begann Hans Kreitmayer, und Felix bemerkte, dass ihn schon lange niemand mehr als jungen Mann bezeichnet hatte. Er wollte bei Gelegenheit darüber nachdenken, ob ihm das gefiel oder nicht.
»Wir bei Puster, das war ein Zusammenhalt. Wir bauen Waffen, die in ihrer Präzision, Ästhetik, Funktionalität und Schönheit einzigartig sind. Ein-zig-ar-tig. Und genauso war unsere Mannschaft. Aus einem Stück geschmiedet. Da hat alles ineinandergegriffen. Man hat bei uns nicht gearbeitet allein zum Geld verdienen. Man hat dazugehört. Unser Direktor damals, der Briegel, der hat von jedem Mitarbeiter die Namen der Kinder und später die der Enkelkinder gewusst, von jedem. Und seine Sekretärin, die Frau Drexl, die hat noch dazu die Geburtstage notiert. Das
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