Sonst kommt dich der Jäger holen
wollte ihm gern zeigen, dass alles ganz normal sein konnte.
»Warst du schon Gassi?«, fragte er eine Frage, die nicht zu einem Hundekenner passte. Wenn ich Flipper fütterte, lag das Gassi hinter uns. Doch natürlich, wenn man jemanden erschossen hatte, konnte man durchaus mal eine Reihenfolge verwechseln. Und man konnte sich vielleicht nicht entspannt auf das Sofa setzen und plaudern.
»Würdest du gern noch eine Runde an der Isar gehen?«, fragte ich ihn.
Flipper schaute mich entsetzt an, als ich den Napf, den ich schon in der Hand gehalten hatte, leer zurückstellte.
»Gern«, sagte Felix.
»Magst ein Käsbrot auf die Hand?«, fragte ich, denn wenn man jemanden erschossen hatte, vergaß man vielleicht zu essen.
»Gern«, wiederholte er.
Ich schmierte vier Brote, klappte sie zusammen, gab Flipper als Vorspeise einen Viertelbecher Trockenfutter, reichte Felix eine kleine Wasserflasche zum Nachspülen, und wir machten uns auf den Weg. Schweigend legten wir die zwei Minuten bis zu den Auen zurück, schweigend gingen wir unter der Reichenbachbrücke durch. Wir liefen nebeneinander her wie ein normales Paar mit Hund, das abends noch eine Runde dreht. Die reden auch nicht viel. Oder gar nichts. So wie wir bis zur Wittelsbacherbrücke. Da sagte er: »Schön ist das, mit euch am Abend spazieren zu gehen, Franza. Machst du das jeden Tag?«
»Eigentlich nicht. Flippers letztes Gassi erledigen wir auf dem Heimweg von einem der Studios. Meistens bin ich mit dem Rad unterwegs.«
Schweigend liefen wir weiter bis zur Braunauer Eisenbahnbrücke. Seltsamerweise fühlte ich mich kein bisschen unwohl in diesem Schweigen. Auch Flipper schien es zu gefallen; er blieb dicht bei uns. Es führen viele Brücken über die Isar. Zwanzig Stück allein im Münchner Stadtgebiet zwischen Thalkirchen und Oberföhring. Wir liefen auf der einundzwanzigsten Brücke. Felix, Flipper und ich. Sie stand in keinem Stadtplan und war realer für mich als alle anderen. Zum ersten Mal, seit ich Felix kannte, hatte ich an seiner Seite festen Boden unter den Füßen. Warum das so war, darüber wollte ich nicht nachdenken.
»Sie haben mir den Fall entzogen«, gestand Felix kurz vor der Brudermühlbrücke, und als wäre damit ein Damm gebrochen, redete er bis zum Flauchersteg ohne Pause.
Ich war froh, dass er keinen Menschen erschossen hatte. Und ich verstand seine Aufgewühltheit nicht. Es war doch nichts Schlimmes passiert. Man hatte ihm einen Fall entzogen, bekam er eben einen anderen, an Morden mangelte es in München und Umland wohl kaum? Aber Felix redete von Degradierung und vorgeführt werden, von einem Scheißfall und Scheißtypen. Offenbar hatte er nach dem Hochsitzmord, bei dem wir uns kennengelernt hatten, einen sogenannten Scheißfall bearbeitet, bei dem er sich verrannt hatte, wie es ihm überhaupt noch nie passiert war. Er erklärte sich das mit der Trennung von seiner Frau beziehungsweise von Sinah. Das habe ihn stärker belastet als vermutet. Er habe sich komplett blamiert. Der Name Beate Maierhöfen fiel. Mir wurde heiß, weil ich ihn von der Rückseite des Fotos der grünen Leiche kannte, von dem ich nichts wissen durfte, weil ich niemals heimlich in Felix’ Wohnung gewesen war. Warum hatte er das Foto überhaupt aufbewahrt, wenn der Fall bereits ein paar Wochen zurücklag? Das war nicht gut. Es dämpfte die Lebensfreude, wenn man sich seine Misserfolge ständig vor Augen hielt. Genau das schien er zu tun. Seit dem Scheißfall fühlte er sich nicht mehr so souverän wie früher. Er habe das Gefühl, seinem Instinkt nicht mehr trauen zu können, der ihn bei dem Scheißfall in die Irre geführt habe. Ein Cop ohne Instinkt sei keiner. Er habe immer gewusst, dass er sich auf dieses gewisse Gefühl verlassen könne. Aber jetzt zweifle er. Nicht nur an seiner Eignung als Hauptkommissar. An allem zweifle er. War er wirklich der Polizist aus Leidenschaft, für den er sich gehalten hatte, oder machte er das eben, weil er es schon immer machte? Sollte so sein weiteres Leben aussehen bis zur Pension – von einer Leiche zur nächsten? Und was man da alles zu sehen bekomme. Irgendwann würde es ihn auch erwischen, dann wäre er so ein abgebrühter Typ wie er nie einer hatte werden wollen. Aber es ginge doch gar nicht anders, wenn er Tag für Tag mit so widerwärtigen Verbrechen zu tun habe und, ja, warum nicht, mit menschlichem Abschaum, das müsse man auch mal sagen dürfen. Menschen ohne jegliches Mitgefühl, Menschen, die derart grausame
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