Sophia oder Krieg auf See
die Verklemmung löste sich ganz simpel durch das Zuggewicht des Eimers. Der Behälter sauste in die Tiefe. »Na schön«, sagte Charlotte schnippisch, aber ihre bernsteinfarbenen Augen glänzten vor Freude, »wir treffen uns zwei Schlag vor Sonnenuntergang am Nordtor«.
Sie drehte sich auf dem Absatz und stürmte zu ihrem Pferd.
»Was ist mit dem Wasser?«, rief Corin ihr etwas verdattert hinterher und zeigte auf den Brunnen. Charlotte grunzte, gluckste und winkte ab. Bloß nicht umdrehen, dachte sie, sonst merkt er noch was, bloß nicht umdrehen.
Corin seufzte und setzte sich wieder zu Sophia. »War das deine Freundin?«, fragte sie und grinste dazu schamlos. Jedenfalls empfand Corin es als schamlos. Er stammelte. »Nee. Nein. Nee, nicht wirklich«, murkste er sich eine Antwort zurecht und wünschte sich irgendwo anders hin.
»Ich beneide dich, ehrlich«, beichtete ihm Sophia und Corin dachte für einen Moment, die Herzogin hätte den Verstand verloren. »Für mich sind solche Dinge noch viel komplizierter«. Corin sah sie fragend an und ihr Blick verhieß nichts Gutes. »Ihr müsst Euren Herzog sehr geliebt haben. Tut mir echt leid…«, versuchte er die Herzogin zu trösten. Sophia sah den jungen Mann, von dem man eben nicht wusste, ob er Junge oder Mann war, lange an.
Es ging verdammt fix, all die Menschen zusammen zu zählen, mit denen sie in ihrem Leben jemals über ihre Gefühle geredet hatte. »Nein«, sagte sie in einem Ton, der Corin schaudern ließ, »ich habe ihn nie geliebt. Wir hatten nicht die Gelegenheit uns zu verlieben. Wir haben uns ganze fünf Tage gesehen, in unserer gesamten Ehe«. »Dann wart Ihr noch nie verliebt?«, konnte Corin seine Neugier nicht zügeln. Wieder sah Sophia ihn lange an und Corin sah den Kampf, den sie mit sich selbst führte und den sie gerade dabei war zu verlieren. Die Herzogin holte tief Luft und fischte ein Stück Pergament aus ihrem Kleid.
Das Portrait von Jonathan.
Die Herzogin hielt Corin das Pergament hin.
Corin sah das Bild.
Und wurde todernst.
»Mein Gott!«, schrie Corin, als er das Gesicht erkannte, »ein dreihaariger Auerochse mit ausgerenktem Unterkiefer!«.
Sophia prustete los.
»Guter Gott«, fragte Corin lachend, »wer oder was zum Henker ist das?«. »Er ist ein kühner Ritter«, fing sie schmunzelnd an zu erklären, »na ja, fast. Er hat dunkles Haar und blaue, leuchtende Augen. Er ist klug und sanftmütig, und trotzdem ein wahrer Meister mit dem Schwert«.
Mehr mochte sie nicht erzählen und Corin würde diesen Augenblick im Gedächtnis behalten, als den Moment, in dem er erstmalig einen Menschen sah, dessen Lippen vor Freude lächelten und dessen Augen vor Kummer weinten.
Irgendetwas lief in Corins Geist umher, um mit einer Fliegenpatsche auf alles zu hauen, was sich amüsierte. Er wurde still. Die Erinnerungen an Jonathan waren da.
»Mein Bruder hat auch immer davon geträumt ein mächtiger Ritter zu werden«, sagte Corin leise. »Den Alten und Schwachen zu helfen. Gegen Leid und Ungerechtigkeit zu kämpfen«. Er seufzte tief. »Und ich wollte immer Pirat werden. Den Alten und Schwachen helfen. Gegen Leid und Ungerechtigkeit kämpfen«.
Corin schaute hoch in den blauen Himmel. »Und jetzt ist er da oben und schaut zu uns herab. Ob er wohl stolz auf mich ist?«.
»Was glaubst du?«, stellte Sophia die Gegenfrage.
Eine blöde Frage, fand Corin. Eine verdammt blöde und verdammt unangenehme Frage.
38 Seit dem Morgengrauen waren Jonathan und Thomas unterwegs gewesen. Von Cord hatte sie über Wiesen und Felder getrieben, Flüsse rauf und runter rudern lassen, mit Schwertern aufeinander gehetzt, Bibelzitate und Gesangsstrophen abgehört.
Kurz um, Jonathan war fix und fertig. Die Kammer, die er sich mit Thomas teilte, war muffig und düster, aber wenigstens war sie einigermaßen trocken und warm, was im Winter sicherlich nicht mehr der Fall sein würde.
Müde saß er auf einem kleinen Holzschemel vor einem einfachen Tisch und starrte auf das dort stehende große polierte Bronzekreuz. Nicht nur das Licht der wenigen Kerzen in der Kammer reflektierte auf der blanken Metalloberfläche, auch Thomas’ Feldbett war schemenhaft zu erkennen. Jonathans Freund war über seinen Bibelstudien eingeschlafen und atmete hörbar.
»Großer Gott, oh Herr«, flüsterte Jonathan dem Kreuz entgegen, »ich bitte dich, schließe die Seelen von Vater, Mutter und Corin in deine Arme und lege deine schützende Hand über Sophia«. Er öffnete den Mund, aber ihm
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