Sophia oder Krieg auf See
Haar, dem langen Bart und dem leuchtend roten Gewand. War heute der Tag seiner Befreiung? Wollte er überhaupt befreit werden? Broklas grunzte und strafte die Brüstungsmauer für ihre Existenz mit einem kräftigen Fausthieb. Die Brüstungsmauer fand das gar nicht lustig und rächte sich fürchterlich mit der Tatsache, dass sie aus Stein war.
Zwei Flotten waren zu sehen, weit entfernt, eine kam von Nordosten, die größere von Südwesten. Und was das für Flotten waren. Insgesamt rund fünfzig Schiffe, sicherlich bis unter das Deck bewaffnet. Broklas sah die Meute um Sven Sture, die mit steinernen Gesichtsausdrücken die Flottenbewegung verfolgte. Nur mit Mühen konnte er sich ein Schmunzeln verkneifen. Im Angesicht dieser Armada wirkte die feine Piratenbande, als ob ihr eine Moorquerung bevorstand, sich ihre Pobacken aber soeben in Blei verwandelt hätten.
Corin kam zu Broklas herüber ohne die Flottenteile aus den Augen zu lassen. Es lag einige Monate zurück, dachte Broklas, dass er Corin so ernst gesehen hatte. »Glaubst du, die haben eine Chance?«, fragte Corin leise. Broklas musterte den Jungen, dessen Augen immer noch auf die Schiffe geheftet waren. »Hast du etwa Angst?«, wollte Broklas wissen und modulierte seine Stimmbänder exakt so, dass der gewünschte Anteil Provokation mitschwang. Corins Kinn mahlte wie ein Mühlstein, nur seine Arme drehten sich nicht im Wind.
»Ja«, antwortete der junge Giles schließlich leise und Broklas war schier von den Socken. Er legte seine große Hand auf Corins Schulter und betrachtete abwechselnd die beiden Flottenteile am Horizont.
»Ich auch, Corin«, sagte der Schotte seufzend, »ich auch«.
*
Bester leckte sich nervös die rauen Lippen, und so sehr, wie Besters Zunge von seinen widerlichen Lippen angeekelt war, so sehr protestierten die Lippen gegen des Admirals belegte und aufgedunsene Zunge. Lippen als auch Zunge waren entschlossen, umgehend einen Antrag auf absolutes Leckverbot an das nächste, zuständige Gehirn einzureichen.
Immer noch kein einziges Piratenschiff in Sicht. Das war doch unmöglich!
»Sumpfschlabbernde Arschmulle«, fluchte sich Bester langsam in Form, »wo sind die verdammten Piratenschiffe«. Wie zur Antwort schrie der Ausguck auf. »Schiffe voraus!«, brüllte der Mann und sein Ausruf wurde von den Spähern der anderen Schiffe umgehend bestätigt.
»Na endlich«, brummte Bester und rieb sich die Hände. Seine Finger hatten schon vor Jahren vergleichbare Anträge gegeneinander gestellt, wie jetzt Zunge und Lippen, waren aber in letzter Instanz, wie auch mit einem Gesuch nach Sterbehilfe gescheitert.
»Es sind unsere eigenen!«, brüllte der Ausguck und die Gesichter wurden wieder länger. Jacob Holk machte einen Schritt auf Bester zu. »Ich nehme an, sie haben sich in ihren Festungen verschanzt, Admiral«, tat der Ratsherr seine Meinung kund, die Bester nicht im Entferntesten interessierte. »Ach ja?«, raunzte er zurück, »und wo sind ihre Schiffe? Die Piraten könnten auch geflohen sein. Wir werden an Land setzten und nachsehen«.
Admiral Besters Laune wurde merklich schlechter, und schon bald würde er etwas Kleines und ungeheuer Niedliches zum Erwürgen brauchen, um nicht zu explodieren. Er lehnte sich über die Reling und brüllte in Richtung der parallel fahrenden Dorothea. »Kapitän! Fahren Sie in den Hafen von Visby und erkunden Sie die Lage!«. Der Schiffsführer der Dorothea hob zustimmend den Arm und gab sofort Befehl sein Schiff zurückfallen zu lassen. Als die Flotte die Dorothea hinter sich gelassen hatte, fuhr der Segler eine Wende und nahm direkten Kurs auf die Hafeneinfahrt der Hauptstadt Gotlands.
*
»Sie schicken einen Aufklärer«, rief Otto Peccatel laut und zeigte auf das große Segelschiff, das sich aus der Formation der Südflotte löste.
Sture fixierte das feindliche Schiff mit seinem Blick. »Bereit halten«, brummte er laut und sein knapper Befehl wurde umgehend über eine Botenkette mündlich weitergeleitet.
*
Admiral Bester, Ratsherr Holk und eine Reihe von Adjutanten lehnten an der Reling des Flaggschiffs um jedes kleinste bisschen Information sofort aufnehmen zu können. Zum Schrecken der Reling walkten Besters Hände das unschuldige Holzgeländer wieder und wieder und wieder.
Nord- und Südflotte waren nur noch eine knappe Seemeile voneinander entfernt und würden sich in Kürze auf der Höhe von Visby vereinen.
*
Die Dorothea näherte sich der Stadt. Das Hafenbecken war von einer Steinmole
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