Sophie Scholl
Du darfst deshalb nicht auf mich warten, du gute. Du musst einmal Mutter vieler Kinder werden. Es ist gleich, ob ich der Vater dann bin.« Am 20. Juli 1941, nach dem Urlaub mit Otl Aicher, schreibt Inge Scholl an Ernst Reden, sie wolle »um der Klarheit willen nicht länger schweigen«. Für die Zukunft soll es heißen – nicht Liebe, aber Zuneigung: »Mein lieber, lieber Ernst, nicht einsam sollst Du Dich fühlen, sondern geborgen und sicher in meiner Zuneigung – nicht nur in meiner, sondern auch in Otl’s.« Ernst Reden antwortet, er fühle sich »jetzt freier«, es habe sich »alles wundervoll gelöst«.
Das Leben geht weiter, unabhängig von Krieg und Zerstörung. Noch war beides fern von Ulm. Doch immer stärker zog die Sorge um die Männer im Feld bei den Familien ein. »Weißt Du etwas von Fritz«, fragte Lina Scholl am 18. Juli ihre Tochter. »Frau Hartnagel bekommt es mit der Angst zu tun, weil gar keine Nachricht kommt. Es ist ja dort die Hölle los; wenn man so allerlei hört, so müsste man glauben, es komme keiner durch.« Dort: das ist die Front im Osten, an der drei Millionen deutsche Soldaten seit dem 22. Juni 1941 angetrieben werden, den russischen Feind zu vernichten. Und Fritz Hartnagel ist einer unter den drei Millionen. Lina Scholl fühlt mit Sophie und hat für sie den Trost ihres Glaubens: »Trotz allen Gefahren gibt es eine sichere Mauer Gottes, sie weiß die zu schützen, die Gott anvertraut sind … Es ist freilich ein ernstes Gefühl, jemanden, der einem nahe steht, in Todesgefahr oder schon dem Tod verfallen zu wähnen. Aber auch hier heißt es: Wenn Du glauben wirst, so wirst Du die Herrlichkeit Gottes sehen.« Ob Sophie Scholl glauben konnte?
Ende Juni meldet Fritz Hartnagel Sophie, er sei mit seiner Fernmelde-Truppe bis nordwestlich von Minsk vorgestoßen – Moskau heißt das Ziel. Es ist ein ernüchternder Brief, der von »oft recht scheußlichen Bildern, die einem längs der Vormarschstraße begegnen« spricht, von nur wenigen Stunden Schlaf. Fritz weiß, was Sophie Scholl wichtig ist, und was auch er sich wünschen würde. Aber dieser Krieg ist anders als der im Westen und der auf dem Balkan, die schon hinter ihm liegen: »Zu einer Beschäftigung für mich selbst, wie lesen, werde ich in diesem Feldzug nicht kommen …« Mitte Juli meldet er ihr, er habe Briefe und ein Päckchen erhalten, eine ungeheure Freude. Geschlafen habe er in den vergangenen drei Wochen nur zwei Nächte. Trotzdem analysiert er nüchtern die Lage: »Der Feldzug gegen Russland wird wohl noch einige Wochen dauern, denn der Russe wehrt sich sehr hartnäckig, und dann sind es bis Moskau von hier auch immer noch etwa 700 Kilometer.«
Es folgt ein nachdenklicher Gruß mit Blick auf die Lage der dörflichen Bevölkerung: »Ich glaube nicht, dass sie für die Befreiung vom Bolschewismus diese Dankbarkeit erweisen. Denn für diese Menschen wird es in ihrer Armseligkeit immer gleich sein, ob sie vom Zar oder Stalin oder Hitler beherrscht werden.« Man müsse bei allen Kriegen nach dem Nutzen für den Einzelnen fragen – eine revolutionäre These für einen Berufsoffizier im Dienst des nationalsozialistischen Deutschland. Sich nicht an die entmutigende Situation gewöhnen und darauf setzen, dass der Schrecken ein Ende haben wird: Dieser Vorsatz verbindet Fritz Hartnagel über Tausende von Kilometern mit Sophie Scholl. Die Verbindung mit ihr ist seine Kraftquelle. »Ich freu mich, bis alles vorbei ist«, schreibt er ihr am 1. August, »Dein Arbeitsdienst und ›mein Krieg‹. Meine Gedanken suchen ihre tägliche Zuflucht bei Dir, oder bei uns, wie Du es nennen willst.«
Am 1. August 1941 hatte Sophie Scholl noch zwei Monate Arbeitsdienst in Krauchenwies vor sich. Zu einigen wenigen Mädchen waren – entgegen den ersten negativen Eindrücken – engere Kontakte entstanden, in gemeinsamer Ablehnung des Lagerlebens begründet. Gemeinsam ließen sich Zwang, Ödnis und Uniformierung leichter ertragen, und hier und da gelang es, der Unfreiheit ein Schnippchen zu schlagen: »Gestern abend saßen Gisela und Gerda und ich noch rauchenderweise hinter einem Heuhaufen, aus kindischem Oppositionsgefühl, und diese Tat gibt einem doch, so lächerlich sie auch ist (aber eine Tat ist es) ein Gefühl des Götz von Berlichingen. Wenn nicht vorn, dann eben hintenrum …« Das schrieb Sophie Scholl am 23. Juni nach Ulm. Rauchen war den Mädchen im Lager streng verboten. Es blieb nicht bei diesem einen Freiheits-Erlebnis, zumal die
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