Sophie Scholl
alte Freundin Annelies Kammerer sie mit feinen Zigaretten versorgte. Und mit jedem Tag, den Sophie Scholl im Kalender strich, rückte eine ganze andere Freiheit näher. »Mit Glück«, schrieb Werner Scholl seiner Schwester ins Lager, »können wir Drei im September zusammen studieren.«
Am 2. August bedankt sich Sophie Scholl bei Hans Scholl, dass er ihr ein Buch als Geburtstagsgeschenk für Inge besorgt hat. Doch ihre Gedanken sind – das wird der Bruder verstehen – woanders: »Heute stehe ich noch ganz unter dem niederschmetternden Eindruck, die die neueste Schreckensbotschaft auf mich gemacht hat: wir müssen noch ein halbes Jahr Kriegsdienstpflicht ableisten, in Lagern, betreut vom R. A. D., der auch unsere Freizeit gestalten will. Ich bin gewillt, jede einigermaßen erträgliche Krankheit oder sonst etwas auf mich zu nehmen, was mich von diesem Schicksal befreit. Überleg Dir auch, was ich tun könnte.« Einziger Lichtblick für den Augenblick: Sophie Scholl kann am kommenden Sonntag nach Hause fahren. Sie hofft, dass Hans auch da sein wird und schließt: »Deine schwergeprüfte Schwester«. Von Ironie diesmal keine Spur. Es war ihr bitter ernst.
ARBEITSDIENST (2) – DIE UNGEWISSHEIT ZERMÜRBT
August bis Oktober 1941
Am 29. Juli 1941 unterzeichnete Adolf Hitler den Erlass, dass Mädchen und junge Frauen, die sechs Monate Arbeitsdienst abgeleistet hatten, anschließend auf weitere sechs Monate zum Kriegshilfsdienst verpflichtet werden konnten. Dadurch sollten männliche Arbeitskräfte – die vor allem in der Wehrmacht mehr denn je gebraucht wurden – freigesetzt werden. Als Inge Scholl am 6. August den neuen Erlass in der »Frankfurter Zeitung« las, setzte sie sich sogleich hin, um Sophie Scholl ein paar tröstende Worte zu schreiben, obwohl die jüngste Schwester am 10. August in Ulm erwartet wurde:
»Häng Dich doch nicht zu sehr an die Sache. Mach es Dir nicht allzu unmöglich. Sieh, es ist soviel offensichtlicher Unsinn in unserer Zeit, hinter dem doch im Ganzen ein Sinn steckt. … Ich meine, Dir sind doch Deine Flügel (soweit man bei Menschen von Flügeln reden kann) im letzten Jahr so schön stark geworden. Nun versuche doch, sie auszuspannen und Dich darüber zu schwingen über das, was Dir da so unsinnig in den Weg kommen will.« Unabhängig davon würden sie alles versuchen, Sophie vor diesem neuen Schrecken zu bewahren.
Die älteste Schwester stieß mit ihrer Ermutigung auf offene Ohren. Als Sophie Scholl am 11. August, einen Tag nach der Rückkehr von ihrem Ulm-Besuch, aus Krauchenwies an Lisa Remppis schreibt, klingt ihr Brief wie ein Widerhall ihrer ermutigenden Gespräche mit Inge und Hans Scholl und den Eltern in der Wohnung hoch über dem Münsterplatz. Der kurze Besuch habe gereicht, ihr »Persönlichkeitsbewusstsein« zu stärken – »bitte nicht gleich an Überheblichkeit denken«, fügt sie aus Erfahrung hinzu. Wieder einmal habe sie gelernt, »sich nicht an Wünsche zu hängen«. Dann kommt Sophie Scholl auf den Krieg zu sprechen und dass sie es als ungerecht empfindet, in einer Zeit leben zu müssen, die »vom Weltgeschehen ganz ausgefüllt« sei. Um sich sofort zu korrigieren: »Aber das ist natürlich Unsinn, und vielleicht sind uns wirklich heute Aufgaben, nach außen und mit der Tat zu wirken, gestellt. Obwohl es scheint, als bestünde unsere ganze Aufgabe darin, zu warten. Das ist schwierig, und oft möchte einem die Geduld vergehen, und man möchte sich ein anderes, leichter erreichbares und erfolgreicheres Ziel stecken.« Man hört es förmlich, das Motto der Scholl-Familie: allen Gewalten zum Trotz.
Die Freundin antwortet postwendend: »Wie kannst du denken, dass ich an Überheblichkeit denke, wenn Du schreibst, dass Dein Selbstbewusstsein gestärkt würde.« Das Gefühl sei so schön, wenn man zu einer Gemeinschaft gehöre, »nicht nur bloß äußerlich, sondern ganz tief und fest. Im Krieg ist es für uns alle notwendig, dass wir irgendwo von etwas Sicherem wissen.« Dann zitiert die Siebzehnjährige den Schluss von »Hermann und Dorothea«: »Wir wollen halten und dauern, fest uns halten und fest der schönen Güter Besitztum. Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist, der vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter« – und fügt hinzu: »Hat Goethe nicht vollkommen recht?«
Am 23. August führt Sophie Scholl den Dialog mit der Freundin fort. Man habe sich eigentlich schon an den Krieg gewöhnt, und nun liege er
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