Sophie Scholl
beeinflussen zu lassen, hatte sie am 6. November ins Tagebuch geschrieben: »Nun komme ich wieder weg von hier. Diese ewige Schieberei, dieses Ungewisse ist nervenaufreibend.« Noch keine Woche dauerte ihr Dienst im Kindergarten von Fürstenberg, als man ihr sagte, sie müsse demnächst in einen Kinderhort nach Blumberg wechseln. Verwundert schreibt die Mutter ihr am 11. November: »Allerdings war ich sehr erstaunt über Deine Versetzung, wo doch damals die Abschlagung unsers Gesuches damit begründet wurde, dass Du selbständig einen Kindergarten zu führen hättest.« Dann jedoch zitiert sie erfreut aus dem Brief von Sophie Scholl: »Nun schreibst Du aber den Satz: ›Ich habe mich umstellen gelernt.‹ Wenn Du dabei auch dies gelernt hast, Dinge nicht von ungefähr zu nehmen, sondern daraus zu lernen, auch dies, es aus Gottes Hand anzunehmen und nicht erbittert zu werden, so hast Du schon viel gelernt.« Ein frommer Rat, aber er setzt voraus, dass Sophie Scholl Gott gefunden hat und an seinen unerforschlichen Ratschlüssen nicht zweifelt.
Es folgt der praktische Teil des Briefes, denn Weihnachten ist nicht mehr weit. Sophie Scholl, obgleich von ihrem Arbeitsdienst bis in den Abend beansprucht, wird aus der Geschenke-Pflicht nicht entlassen. Lina Scholl denkt und plant für ihre jüngste Tochter: »Ich dachte, Du könntest zum Beispiel für Inge Übersöckchen zu Weihnachten stricken, auch Liesl kann sie brauchen. Das ist sicher sehr gewünscht.« Sie werde schon einmal weiße und braune Wolle kaufen. Dann zählt Lina Scholl auf, was Sophie Scholl Cousins und Cousinen schenken könnte – Kleider, Strümpfe, Schürzen, Höschen. Anschließend eine interessante Information: »Vielleicht bekomme ich auch etwas für die Kinder Krall, jedenfalls für den Kleinen, da schreibst Du mir noch, welches Alter er hat, dann darfst Dus schenken.« Der Kontakt zur Familie Krall in Krauchenwies, wo Sophie Scholl im August den Säugling und den ganzen Haushalt versorgt und sich sehr wohl gefühlt hatte, war geblieben, und Lina Scholl war immer großzügig, Menschen zu helfen, denen es schlechter ging.
Wenig später kommt die Wolle in Blumberg an – mit genauen Anweisungen der Mutter: »Wenn Du Liesl ein paar Bettschuhe strickst, dann nimmst du die weiße Wolle und dazu noch 2 von den beiliegenden Farben dazu, dann ist die Wolle 5fach. Blau, Orange und rot habe ich noch je 1 Knäuel … Fängst ja Nadel 16 M. an, strickst ein schönes Börtchen, etwa 12 cm, und dann wie am Strumpf, Ferse u. s. w. … Strickst sie nicht zu lang, pass sie Deinem Fuß an, dass sie gut anliegen. Die Kakaofarbe würde mir gut zu Söckchen gefallen … Ich will Hans ein paar Hüttenschuhe stricken …« Und so geht es mit dem Thema Wolle noch eine Weile weiter. Am Briefende wieder eine Neuigkeit: »Die Äpfel sind nun auch fort, ich bin froh, Prof. Muth bekam 1 Kiste.« Nicht nur, dass Hans Scholl seit Ende Oktober fast täglich in der Bibliothek von Carl Muth in München-Solln arbeitete. Die Scholls in Ulm versorgten den Professor, der unter Diabetes litt, jetzt regelmäßig mit frischen Lebensmitteln.
Die Weihnachtsaufträge von der Mutter waren längst nicht das einzige, was an den Abenden in Blumberg nach der Arbeit erledigt werden musste. Da war einmal der Briefkontakt mit den Geschwistern – Hans, Inge, Werner, Liesl –, dann der mit Lisa Remppis. Der Brief-Austausch mit Fritz Hartnagel war zum Ritual geworden: Sophie schrieb jeden Montag, und er am Freitag, vor der Abfahrt nach Freiburg, so dass sie zum Wochenbeginn einen Gruß von Fritz in der Post hatte. Als Inge Scholl »Sofielein« die Adresse von Ernst Reden schickt, ist die wortlose Bitte unüberhörbar; Sophie Scholl erledigte auch diese Anforderung. Am 9. November bedankte sich Ernst Reden bei ihr für eine Kinderzeichnung, die er neben ein Bild von Paula Modersohn-Becker gehängt habe: »Das Deinige mag ich besonders gern; es ist stark an Gefühl und Menschlichkeit.«
Dank Otl Aichers Ideenreichtum sind Inge, Sophie und Hans seit Anfang Oktober in unterschiedlicher Arbeitsintensität mit einem neuen Projekt verbunden: dem »Windlicht«, einer Art Rundbrief, um die Gleichgesinnten über alle Trennungen hinweg zusammenzuhalten. Inge Scholl übernahm die Koordination und das Abschreiben von Texten. Alle Empfänger sollten etwas zum Inhalt beitragen – einen Aufsatz, einen Witz, eine Zeichnung, ein Gedicht, ein Zitat, eine Buchbesprechung. Inge Scholl hatte sich sogleich an ihre
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