Sophie Scholl
Einsatz war, nicht abgeschlagen. Fritz Hartnagel wird die Pause vom Krieg in Weimar und Ulm genossen haben. Am 25. Oktober 1941, einem Samstag, haben die beiden Inge Scholl nach Aulendorf in einen »sehr erlesenen, kleinen Buchladen« begleitet. Der Maler Wilhelm Geyer, Freund der Familie, hatte Inge Scholl Mitte Oktober auf diese Buchhandlung aufmerksam gemacht, wo »sämtliche Werke Newmans und sonst noch einige rechte Sachen« zu finden seien, wie Inge Scholl verklausuliert an Otl Aicher schrieb. Mit Newman war der englische Kardinal John Henry Newman gemeint. Wer im nationalsozialistischen Deutschland 1941 die Predigtbücher dieses Theologen im Sortiment hatte, führte keine gewöhnliche Buchhandlung.
Das Besondere der Rieckschen Buchhandlung beginnt bei den Besitzern – Josef Rieck, der als angehender Mönch das Kloster Beuron verließ, um Buchhändler zu lernen, und seiner Frau Erika, einer Kommunistin aus Berlin. 1938 entschieden sie sich für einen Start im oberschwäbischen Aulendorf, Bahnknotenpunkt mit schnellen Verbindungen in alle Himmelsrichtungen und doch unauffällig in der Provinz gelegen. Sie machten ihren Umsatz als Versandbuchhandlung und mit einem Sortiment, das hochgeistige Literatur versprach, die – darin dem »Hochland« gleich – in Wahrheit gut getarnte geistige Nahrung war, um mit Anstand zu überleben, vielleicht sogar, um aus Büchern Kraft zum Widerstand zu schöpfen. Seit dem 25. Oktober 1941 standen die Scholls als Kunden in der Rieckschen Kartei.
Als Inge Scholl ihren Bruder Hans, der zurück nach München fuhr, am 20. Oktober auf die Bahn gebracht hatte und zurück in der Wohnung am Münsterplatz war, schrieb sie zuerst an Carl Muth. Dann informierte sie in einem zweiten Brief Otl Aicher, dass sie Muth »Hans’ Hilfe zum Ordnen seiner Bibliothek angeboten habe. (Hans sagte mir, Du hättest ihm erzählt, dass er seine Bibliothek neu ordnen wolle.)« Die Aktivitäten der ältesten Schwester – nicht ohne Hintersinn eingefädelt – haben Erfolg. Nur zwei Wochen später erfährt Otl Aicher: »Hans arbeitet schon einige Tage in Muths Bibliothek und er ist hell begeistert, wie Du Dir denken kannst … Ich erhoffe mir für Hans einiges aus dieser Begegnung, das Dir und mir das Wichtigste ist. Muth ist ein Prellbock für Hans mit seinem wilden Saus, einer, dem es in erster Linie um Gott geht … Wenn ich nur den wunderbaren Menschenstrom Hans in ein richtiges Bett lenken könnte.« Vielleicht war der Bruder ein Gesprächsthema zwischen den Schwestern Inge und Sophie. Beide machten sich Sorgen um Hans, sahen ihn auf einem falschen Weg. Unausgerichtet, Chamäleon – das waren Sophie Scholls kritische Worte gegenüber Lisa Remppis und Erika Reiff. Inge Scholl dachte wohl ähnlich.
Jeder Aufenthalt in Ulm führte Sophie Scholl schärfer vor Augen, wie unfrei sie war und wie sehr sie ihr Leben im Dienst einer menschenverachtenden Ideologie vergeudete. Sie musste erfahren, dass es eine Grenze dessen gab, was sie an sich abperlen lassen konnte. Am 23. Oktober wird auch das zweite Gesuch der Eltern, Sophie vom Arbeitsdienst freizustellen, abgelehnt; damit sind sechs weitere Monate in der »Zwangsjacke« unausweichlich. Und vielleicht ist der Kindergarten in Fürstenberg nur eine Zwischenstation zu einer noch öderen Arbeit. Vorbei ist es mit der Überzeugung von Anfang September, das Lager kümmere sie wenig, es gebe viel wichtigere Dinge zu denken und zu tun. Immerhin war der Antrag von Fritz Hartnagel auf eine Woche Urlaub für Sophie Scholl erfolgreich. Am 25. Oktober fährt sie wieder von Blumberg nach Ulm.
Am 30. Oktober ist große Aufregung bei den Scholls am Münsterplatz. Sophie hatte am Abend zuvor Fritz Hartnagel, dessen Urlaub zu Ende ging, auf seiner Rückfahrt nach Weimar noch bis Augsburg begleiten und dann sogleich nach Ulm zurückfahren wollen. Doch sie wurde, schreibt Inge Scholl spät am Abend an Hans Scholl, »heute morgen nicht in ihrem Bett gefunden und wir haben den ganzen Tag auf sie gewartet«. Gegen Abend meldete sich Fritz Hartnagel per Telefon: »Sophie hätte nimmer allein nach Hause fahren wollen«, da sie starkes Kopf- und Bauchweh hatte. »Ihr übliches«, worunter sie alle vier Wochen leide. Daraufhin hätte er sich noch zwei Tage dienstfrei geben lassen. Direkter gesagt: Sophie Scholl und Fritz Hartnagel hatten die Nacht in Augsburg verbracht. Inge Scholl schließt ihren Brief an den Bruder: »Dein Schwesterlein ist wieder gefunden.« Das klingt
Weitere Kostenlose Bücher