Sophie Scholl
jüngste Schwester gewandt: »Also – Sofielein, nimm Dir manchmal Bleistift und Papier zur Hand …« Ende Oktober schreibt Inge Scholl an ihren Bruder Hans in München: »Ich sende Dir hier den ersten Aufsatz für den geplanten Rundbrief ›Das Windlicht‹, dass Du ihn Dir einmal durchlesen kannst. … Otl schreibt, ob Du nicht einen Aufsatz beifügen möchtest.« Auch Hans Scholl versprach eigene Arbeiten.
»Für das ›Windlicht‹ soll ich das Weihnachtsheft bemalen. Wenn Otl wüsste, wie leer ich bin, wie inhaltslos so ein Bild werden würde. Wenn es Gott nicht gut mit mir meint. Ich will dran glauben.« Das schreibt Sophie Scholl am 6. November 1941 in ihr Tagebuch und am gleichen Tag, noch im Kindergarten von Fürstenberg, einen Brief an Otl Aicher: »Bis mein Putzwasser heiß ist, reicht es zu der notwendigsten Antwort auf Deinen Brief. Ich würde gerne zu dem Weihnachtsheft malen. Die Zeit würde ich schon finden. Ich selbst bin zwar ganz ausgetrocknet … Nur, etwas anderes als illustrieren werde ich nicht können.« Sie sei jetzt ganz allein in ihrem Kindergarten, fügt sie hinzu. Und das Putzen gehört auch zu ihrer Arbeit. Sie könne zwar nicht so tun, wie sie wolle – »trotzdem habe ich’s gut«. Sie genießt den langen täglichen Weg zwischen Blumberg und Fürstenberg am Morgen und am Abend – »ganz allein zwischen den verschneiten Feldern und Hügeln, die noch in der Dämmerung liegen. Das ist schön und lässt keine schlechten Gedanken aufkommen«.
Am 18. November schickt Sophie Scholl eine Zeichnung für das Titelblatt des Weihnachtsheftes an Inge Scholl mit der Bemerkung, sie wisse nicht, wie die Farben im Tageslicht aussehen, sie habe tagsüber keine Zeit zum Malen. Dann bittet sie um den Aufsatz von Willi Habermann zum Gegenlesen. Ende des Monats schickt Otl Aicher ihr seinen Aufsatz, den er in der Stube seiner Kaserne in Ludwigsburg geschrieben hat. Zwar habe er eine Leidenschaft für lange Sätze, die er sich nicht nehmen lassen will. Aber sie soll »Stellen finden, die man anders und besser ausdrücken kann«. Am 7. Dezember bedankt er sich bei Sophie Scholl für die Mühe, die sie sich gemacht habe, »um die Stellen anzugeben, die nicht ganz in Ordnung sind«.
Der harte Kern der »Windlicht«-Redaktion ist erfüllt von einem Arbeits- und Leistungsethos, das man – trotz aller Sympathie für die katholische Ausrichtung der Theologie – protestantisch nennen kann. Hüttenschuhe stricken, Briefe schreiben, Zeichnungen entwerfen, Aufsätze korrigieren und möglichst selber schreiben – der Katalog der Anforderungen an Sophie Scholl ist eine Überforderung der Zwanzigjährigen, die mehr als alle anderen »Windlicht«-Beteiligten einem rigorosen Arbeitsplan in einer fremden Umgebung, die politische Anpassung verlangt, ausgeliefert ist. Alle, die sie liebt, zerren an ihr, wollen etwas, und Sophie Scholl fühlt sich verpflichtet, jeder Bitte nachzukommen. So ist sie erzogen worden, das verlangt sie von sich. Je öfter sie mit Fritz Hartnagel in Freiburg das Wochenende verbringt, um so mehr muss ihr zu Bewusstsein gekommen sein, wie sehr sie sich bei ihm ausruhen kann. Da ist einer, der sie umsorgt, und der keine Anforderungen an sie stellt.
Otl Aicher dagegen treibt Sophie Scholl immer aufs Neue zu intellektuellen Leistungen an, fast könnte man es Exerzitien nennen. Noch einmal sein Brief vom 7. Dezember: »Dir selber möchte ich den Rat geben, schreib in Deiner freien Zeit viel Aufsätze, nur für Dich oder mühe Dich ab, einen Gedanken, der zu lesen Dir Schwierigkeiten bereitet, klar niederzuschreiben, nachdem Du ihn einigermaßen verdaut hast. Mir hat diese Methode sehr viel genützt. Man bekommt dadurch einen viel intensiveren Blick.« Angesichts von Sophie Scholls Arbeitspensum von freier Zeit zu sprechen, verrät, wie wenig Fantasie Otl Aicher aufwendet, sich in ihre Situation zu versetzen. Aber sein Lehrplan für Sophie Scholl ist noch nicht erfüllt. Da sie kritisch sei und die Dinge so sehe, wie sie sind, solle sie diese Gabe nutzen: »… nimm so etliche Dinge unter Deine Lupe wie vielleicht den Grund, warum ein Konzertabend heute schon einen Geschmack an sich hat oder sonst etwas anderes.« Außerdem gesteht er ihr etwas, das ihm bei Inge Scholl sicher nicht in den Sinn gekommen ist. Sie solle in diesen Aufsätzen »solche Bemerkungen bringen, die mich – jetzt kann ich es Dir ruhig sagen – früher manchmal zaudern ließen und meine Sicherheit für Augenblicke raubten«.
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