Sophie Scholl
erleichtert, versehen mit ein wenig Augenzwinkern. Sie konnte nicht ahnen, dass mit jedem Kilometer, der Sophie Scholl und Fritz Hartnagel am 31. Oktober 1941 weiter auseinander brachte – Sophie ins südliche Blumberg und Fritz ins mitteldeutsche Weimar –, sich dieser Augsburger Aufenthalt als »schreckliche Verfehlung« tiefer in ihre Seelen grub.
KRIEGSHILFSDIENST (1) – WOCHENENDEN MIT FRITZ IN FREIBURG
November bis Dezember 1941
Kaum zurück in Weimar, schreibt Fritz Hartnagel am 1. November 1941 an Sophie Scholl: »Ich glaube, gerade dieser Augsburger Tag mit seinen schrecklichen Verfehlungen, die uns fast verzweifeln ließen, er brachte mich (uns) weiter. Ich kann Dir noch nicht genau sagen, warum und wie und wohin. Ich glaube einfach, dass wir den Weg aus diesem Abgrund finden werden.« Am 4. November kamen zwei Briefe von Sophie Scholl, der erste trug eine besonders schön gemalte Anschrift, »wie zum Zeichen, dass ein neuer Abschnitt in unserer Beziehung begonnen hat«. Auch der zweite Brief gab ihm die Gewissheit, er müsse sich, trotz allem, was vorgefallen war, nicht von ihr getrennt fühlen.
Die meisten Briefe Sophie Scholls an Fritz Hartnagel zwischen Frühjahr 1941 und November 1942 sind im Krieg verloren gegangen. Aber seine Briefe spiegeln viel von dem wider, was sie ihm erzählt und was sie denkt. Dazu hat sich einiges aus dem Tagebuch erhalten, das Sophie Scholl in Blumberg führte. Am 5. November 1941 notiert sie, »wem kann ich noch unter die Augen treten?« Und gibt sich gleich die Antwort: »Nur dem, der alles Schlechte an mir kennt. Alles zu bekennen, dafür bin ich zu feige. Gebt mir Zeit, mich zu bewähren.«
Ähnlich wie zwölf Monate zuvor ist die Beziehung zwischen Sophie und Fritz zum Jahresende 1941 in eine schwere Krise geraten. Doch diesmal löst sie nicht Streit und Schärfe aus, sondern auf beiden Seiten tiefe seelische Erschütterungen. Von Trennung als Alternative ist keine Rede. Die Rollen haben sich total verkehrt. Im November/Dezember 1940 war Fritz Hartnagel »in jeder Beziehung auf dem Nullpunkt« und sah »keinen Weg mehr« zu Sophie Scholl, während sie ihn mit aller Härte provozierte. Selbstsicher hatte sie an ihre Freundin Lisa Remppis geschrieben, sie habe alles Sinnliche ausgeschaltet und alles andere sei reine Willenssache. Gemessen an diesen Vorgaben waren die Stunden in Augsburg, die den Abschied von Sophie Scholl und Fritz Hartnagel hinauszögern sollten, eine Bewährungsprobe, die Sophie Scholl nicht bestanden hat. Noch am 31. Oktober ist sie von Ulm zurück nach Blumberg gefahren, um endgültig ihren Kriegshilfsdienst für die kommenden sechs Monate anzutreten. Seitdem fühlt Sophie Scholl sich schlecht. Im Tagebuch ist von Müdigkeit die Rede, sie will nur schlafen und hat Heimweh.
Fritz Hartnagel dagegen sieht ihre »Verfehlung« als Herausforderung. Er ergreift die Initiative, gibt in seinen Briefen die Richtung des Handelns vor und spricht in den nächsten Wochen deutlich aus, worum es geht: »… dem Geschlechtlichen einen Sinn geben.« Es »in Demut als ein Geschenk Gottes empfangen, und selbst geben in Liebe zu dem andern«. Fritz Hartnagel hat die Bücher, die Sophie Scholl ihm empfohlen hat, sorgfältig gelesen, in öden Kasernenstunden ebenso wie an der russischen Front. Was er anfangs nur als Bruchstücke wahrnahm, hat sich für ihn zu einem Bild gerundet: ein Bild von Gott und vom Christentum, das ihm Sicherheit bietet in haltlosen Zeiten.
Als Sophie Scholl ihm am 5. November »einen Brief aus Schwäche« schreibt, geht Fritz Hartnagel mit theologischen Argumenten freundlich-entschieden zum Gegenangriff vor: »Ich kann nicht glauben, dass dies Schwäche sein soll, die Sehnsucht nach der Liebe eines anderen.« Wenn der Mensch fähig ist, einen anderen gläubig zu lieben, sei dies eine Gabe, die Gott geschenkt hat. Er geht noch weiter: »… oder ist es nicht eigentlich Gottes Liebe, die durch uns wirkt?« Eine solche Liebe des Nächsten abzuschlagen, bedeute doch, sich den Gaben Gottes, ja seiner Liebe zu entziehen. Für Fritz Hartnagel folgen aus der theologischen Logik sogleich irdische Konsequenzen: »Ich glaube, wir müssen jede sich irgendwie bietende Gelegenheit für ein Zusammensein ausnützen, solange ich noch in Deutschland bin. … Die Zugverbindungen nach Freiburg sind ganz günstig.« Weil Soldaten in Zukunft ihren Sonntagsurlaub nur innerhalb eines Radius von hundert Kilometern verbringen dürfen, hat er seine Eltern
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