Sophie Scholl
Zerstörung und des Unfriedens … Aber auch dieser Kampf wurde nicht von mir gewollt …« Hitler tat alles, die Verantwortung für seinen Eroberungs- und Ausbeutungskrieg der »jüdischen Weltverschwörung« anzulasten. Doch die Menschen im Berliner Sportpalast und an den Lautsprechern der Radios warteten nur auf eine Botschaft. Das wusste Hitler, und er lieferte sie: »Ich spreche das hier heute aus … dass dieser Gegner bereits gebrochen ist und sich nie mehr erheben wird.« Da ließen sich die Zweifler wieder beschwichtigen. Aber der Eindruck, nun könne bald Frieden werden, war von kurzer Dauer.
Im Oktober 1941 wussten ein kleiner Kreis im Oberkommando der Wehrmacht und Hitlers engste Mitstreiter, dass alle Pläne, vor dem gefürchteten russischen Winter »den Russen« besiegt zu haben, in den unendlichen Weiten des Landes und den Unbilden des Wetters, angesichts eines verbissen um jeden Meter russische Heimaterde kämpfenden Gegners und aufgrund der fahrlässigen Vorbereitung der deutschen Truppen zerstoben waren. Pathetisch forderte Hitler zum Beginn des 3. Kriegs-Winterhilfswerks die Heimat zu Opfern auf als »Dank und Anerkennung für die unübertrefflichen Leistungen des deutschen Soldaten«. Wollsachen aller Art, Decken, Mäntel und Skier sollten gespendet werden. Für die Bevölkerung war es ein Schock: Die Führung hatte keine Vorsorge für einen Winterkrieg getroffen. Doch die große Mehrheit setzte ihre Hoffnung um so mehr auf »den Führer«; Hitler würde es schon richten.
In Ulm war die entschiedene Reaktion der Scholls »Wir geben nichts«. Fritz Hartnagel konnte das, bei aller Distanz zum nationalsozialistischen Regime, nicht nachvollziehen. Es ging doch um deutsche Soldaten, die – schlecht ausgerüstet – ohne diese Spenden Erfrierungen und dem Tod ausgesetzt waren, deren Überlebenschancen zumindest sehr gemindert würden. Aber Sophie Scholl argumentierte unnachgiebig: Wer gegen dieses Regime war, konnte nur ein Ziel haben – dass dieser Krieg mit einer Niederlage der deutschen Armee endete. Nur unter dieser Voraussetzung würde die Bevölkerung bereit sein, Hitler und seinen Helfern endgültig das Vertrauen zu entziehen und sich von einer verbrecherischen Politik zu lösen. Von diesen Verbrechen erfuhren die Scholls sehr konkret Mitte November in ihrer Wohnung am Münsterplatz. Sophie Scholl wird es ein Wochenende später erfahren haben, als sie nach Hause kam.
Eugen Grimminger war zum Sonntagnachmittags-Kaffee aus Stuttgart gekommen und berichtete etwas, das alle bewegte. Robert Scholl und Eugen Grimminger hatten sich 1918 kennengelernt. Da war der siebenundzwanzigjährige Robert Scholl Bürgermeister in Ingersheim, das zum Oberamt Crailsheim gehörte, und dort arbeitete der sechsundzwanzigjährige Grimminger in der Verwaltung. Die Männer trafen sich 1936 wieder, als beide einen Kurs in Stuttgart besuchten, um öffentlich zugelassener Bücherrevisor zu werden. Eugen Grimminger war auf dem Weg zur Freiberuflichkeit, weil der württembergische Verband Landwirtschaftlicher Genossenschaften ihn entlassen hatte. Der Grund: Eugen Grimmingers Frau Jenny war Jüdin. Das Wiedersehen führte zu bleibenden freundschaftlichen Kontakten der Familien.
Was Robert Scholl am 16. November erfuhr, hat er noch am gleichen Abend an seine Frau geschrieben. Lina Scholl war auf Verwandtenbesuch in der alten Heimat zwischen Backnang und Steinbrück: »Heute Nachmittag war Herr Grimminger von Stuttgart da. Er hat mit uns Kaffee getrunken, ging jedoch bald wieder zurück. Er könne seine Frau nicht lange allein lassen, weil sie zur Zeit ganz von Sinnen sei. Seine Schwägerin, eine Witwe mit vier unmündigen Kindern müsse kommende Woche ohne ihr Hab und Gut nach Polen oder Russland. Hans sagte schon gestern, dass die Juden aus München schon vorige Woche nach dem Osten geschafft worden seien.« Robert Scholl fährt fort: »Von den hiesigen weiß ich nichts. Im Osten haben sie, wie man sagt, keine Wohnung, keine Betten und kein Essen. Und das jetzt zu Beginn des grimmigen russischen Winters! Wie lange dauert solcher Schrecken noch?«
Eine gravierende Station auf dem Weg der Schrecken war der 13. September 1941. An diesem Tag wurde eine Polizeiverordnung über die »Kennzeichnung der Juden« bekannt gemacht: »Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, ist es verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne einen Judenstern zu zeigen. Der Judenstern besteht aus einem handtellergroßen, schwarz ausgezogenen
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