Sophie Scholl
der vielen anregenden Abende zu Lesungen, Konzerten und Gesprächen begegnet waren, ins Eickemeyer-Atelier in der Leopoldstraße, um Abschied zu feiern. Auch Professor Kurt Huber und Manfred Eickemeyer waren eingeladen. Hans Scholl und Alexander Schmorell regten die Diskussion an. Sollte man in der Heimat passiven Widerstand leisten? Sollte man als Soldat an der Front wirklich schießen und Menschen töten, auch wenn er ein Feind war? Die Meinungen waren geteilt, und wie immer diskutierten fast ausnahmslos die Männer. Sophie Scholl und Traute Lafrenz, beide gewiss nicht ohne Meinung und nicht um Worte verlegen – sie schwiegen meist. Nicht aus Schüchternheit, sondern weil das auch im Jahre 1942 und unter jungen modernen Menschen die Rolle der Frauen war. Und wäre es klug gewesen, in diesen Zeiten die Emanzipation zu proben?
Dazu gehört ins Bild: »Sophie und ich haben im Anschluss daran aufgeräumt und sauber gemacht.« Das sagte Traute Lafrenz Jahre später in Erinnerung an das Abschiedsfest. Am nächsten Morgen, sammeln sich die Medizin-Studenten am Münchner Ostbahnhof zur Abfahrt. Fotos werden gemacht. Sie zeigen Sophie Scholl mal lachend, mal ernst; mal die Blume im Haar, mal in der Hand. Vier Stunden dauert die Warterei. Vier Tage später wird Sophie aus Ulm an Lisa Remppis schreiben: »Jedes kleine Wort und jede kleine Gebärde des Abschieds ist noch so lebendig in mir; ich hätte nicht geglaubt, dass ich so an ihnen allen, vor allem an Hans, hänge. Hoffentlich können wir uns bald alle gesund wiedertreffen.« Dass Sophie Scholl zum Abschiednehmen am Bahnhof war, hatte sie Traute zu verdanken: »Es gab nämlich nur ein Fahrrad. Sophie wollte dorthin und ich natürlich auch. Ich sagte schließlich zu ihr: ›Ach, geh du doch, ich bleib hier. Nimm das Fahrrad und fahre zum Bahnhof.‹ Schade war, dass ihr dann unser einziges Fahrrad am Ostbahnhof gestohlen wurde.«
Am Samstag, dem 25. Juli, fährt Sophie Scholl nach Hause. Das Semester ist zu Ende, aber die Semesterferien sind nicht frei. Der obligate »Rüstungseinsatz«, meist mehrwöchige Arbeit in einer Fabrik, wartet auf sie. Aus den Radios dröhnen wieder die Siegesfanfaren. In Russland sind Kertsch und Charkow eingenommen. Die deutschen Truppen rücken weiter vor. Die deutsche U-Boot-Flotte meldet Erfolge im Atlantik, und in Nordafrika schlägt Feldmarschall Erwin Rommel die Engländer. In Ulm erhielt Sophie Scholl einen Brief Fritz Hartnagels: »Wir befinden uns mitten im Vormarsch Richtung Stalingrad und stehen zur Zeit etwa 150 km vor dem östlichsten Donbogen.« Sie und die Familie waren dank seiner Briefe gut informiert. Das hatte Sophie Scholl nicht gehindert, im Juli ihre Hoffnung auf ein baldiges »Ende« in ihrem Sinn nach Osten zu schicken, verbunden mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen. Am 1. August bekommt sie dazu eine Einschätzung von Fritz Hartnagel: »Du bist arg optimistisch, wenn Du meinst, dass ich bis zu Deinem Semesterbeginn wieder bei Dir gewesen bin.« Er liefert sogleich eine militärische Einschätzung hinzu: »Die zur Zeit laufenden Operationen dauern bestimmt noch bis Einbruch des Winters an, und wer weiß, ob wir dann den Winter über aus Russland herausgezogen werden … Und an Urlaub aus Russland heraus ist kaum zu denken.«
Fritz Hartnagel bedrückt, was manchen anderen mit Stolz erfüllen würde: »Ich wurde heute zum Hauptmann befördert!« Sophie könne sich seine zweifelhaften Gefühle denken: »Nun bin ich wieder eine Stufe weiter in ein System gedrängt, dem ich am liebsten den Rücken kehren möchte. Ich komme mir vor wie eine Puppe, die nach außen darstellt, was sie innerlich gar nicht ist.« Genau zwei Jahre sind es her, als Fritz Hartnagel im August 1940 bei aller Kritik an der Wehrmacht schrieb, er »sehe im Soldatentum eine Lebenshaltung« und stolz war »auf das Soldatische an sich«. Damals muss ihm die kritische Antwort von Sophie Scholl kalt und gnadenlos vorgekommen sein.
Angestoßen und ermutigt von Sophie Scholl, ist Fritz Hartnagel einen langen Weg gegangen, und nicht vergebens. Mitten in der russischen Steppe, bei brütender Hitze, täglich vom Tod bedroht, schreibt er: »Wie beruhigend ist es, dass ich ein Gut doch wenigstens ahne, das mir niemand nehmen kann, das mich über alles in eine Glückseligkeit erhebt, wenn ich es mir mit ganzem Herzen erstrebe. Wenn auch so vieles ausweglos erscheint, so kann ich doch in froher Hoffnung leben. In meinem Hoffen und Wünschen und Bitten bist Du
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