Sophie Scholl
Muth. »Sofielein«, ein Kind, das man nicht ernst nahm? War das Lachen vielleicht eine spontane Ersatzhandlung, wie sie bei Menschen vorkommt, die ein Ventil für ihre untergründige Anspannung brauchen?
Die unerwartete Erwähnung der Flugblätter, die Inge Scholl schon von Ulm her bekannt waren – dazu Sophies Lachen –, müssen ihre diffuse Angst und Beklemmung noch gesteigert haben. Gewiss, Sophie Scholl hatte seit jeher einen skurrilen Humor. Inge Scholl wurde daran erinnert, als sie in den nächsten Tagen mit Sophie und Traute Lafrenz von Solln aus einen Spaziergang durch die schöne Landschaft machte. Auf der mit wildem Wein überdachten Terrasse eines Ausflugslokals ließen sie sich nieder und bestellten drei Mal Kaffee mit Milch: »Ah, da kam er ja schon …! Drei Tässchen mit dampfendem, bis auf den Grund durchsichtigen Braunschwarz standen auf dem Tablett, jedoch – fehlte nicht noch die Milch?« Die drei Frauen lachen schließlich über ihre naive Erwartung, noch ein paar Tropfen Magermilch zu ergattern. »Gebt euch doch zufrieden,« sagt Traute Lafrenz, »die nächste Etappe wird heißes Wasser sein.« Sophie Scholl erweitert den Blick in die Zukunft: »Wenn wir dies einmal unseren Enkelkindern erzählen, werden sie uns antworten: Oma schneid’ net auf. Aber unsere Kinder werden sich vielleicht untereinander rühmen: Ätsch, mein Vater war im Konzentrationslager, meine Mutter hat im Gefängnis gesessen …«
Am 10. Juli las der Schriftsteller Theodor Haecker vor einem Kreis von rund zwanzig Personen im Atelier auf dem Grundstück Leopoldstraße 38 aus seinen Werken, obwohl er seit 1936 totales Redeverbot hatte. Hans Scholl, der den Freund von Carl Muth inzwischen gut kannte, hatte ihn eingeladen und den Abend organisiert. Dem Dreiundsechzigjährigen wird das Treffen mit den Studentinnen und Studenten gut getan haben, die fasziniert seinem Vortrag lauschten. Als Haecker gegangen war, blieben alle noch zusammen und tranken Tee. Sophie Scholl, die neben ihrer Schwester saß, sagte unvermittelt: »Der hat ein demütiges Gesicht, bei dem weiß man bestimmt, dass er fromm ist.« Inge Scholl fuhr allein zurück nach Solln. Am nächsten Tag war sie wieder mit Sophie und Hans verabredet. Die Drei wollten am Bahnhof ihren jüngsten Bruder Werner noch einmal treffen, der über München an die Front nach Russland fahren sollte. Doch der Zug nahm einen anderen Weg. Einen Ersatz für das Stück Butter, das er für die Geschwister im Gepäck hatte, schickte Lina Scholl mit der Post nach München und schrieb dazu, Werner sei nun »diesem Verderben preisgegeben, aber Gott kann ihn retten«.
Statt zum Bahnhof gingen Inge, Hans und Sophie Scholl in die Vorlesung von Professur Kurt Huber über »Leibniz und seine Zeit«. Am 16. Juli war Inge Scholl mit den Geschwistern in der Schmorell-Villa, wo am Abend wieder eine Lesung in verteilten Rollen stattfand, immer noch »Der Seidene Schuh« von Paul Claudel. Wo man sich in diesen Tagen auch traf, irgendwann fielen die Stichworte »Flugblätter« und »Weiße Rose«. Eine Diskussion über das Für und Wider solcher Aktionen begann, in die sich Hans Scholl und Alexander Schmorell ab und an einmischten, nachhakten, nachfragten.
Inge Scholl konnten die Gesprächsfetzen nicht entgehen, nicht die Blicke, die hin und her wanderten, nicht die Vermutungen, die ungesagt im Raum standen. Sie wusste aus vielen Diskussionen in Ulm mit Hans und Sophie Scholl, wie entschieden ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus war und wie sehr es sie bedrückte, nur passiv zuzuschauen. In diesen schönen Julitagen in München mussten bei Inge Scholl die Vermutungen wachsen, dass ihre Geschwister etwas mit den Flugblättern der »Weißen Rose« zu tun hatten. Und mit den Ahnungen wuchsen die Ängste. Am 13. Juli fasst Inge Scholl in Solln im Tagebuch ihre Empfindungen in einem Gebet zusammen: »Vater, o nimm mich auf. Sieh diese Angst, die sich wie eine Last auf meine Seele wälzt … es ist nicht zu ertragen, o lass mich Deine Nähe fühlen. … Hans – Deinen Engel lass ihn um ihn sein. Hilf Du, dass ich ihm das rechte Wort sagen kann.«
Drei Tage später, nach der Claudel-Lesung, gehen Inge und Hans Scholl noch lange gemeinsam durch den lauen Sommerabend. Sie führen ein intensives Gespräch, über Kultur und Glauben, über die Macht und das Böse. Es wäre eine gute Gelegenheit, nach den Flugblättern zu fragen. Aber Inge Scholl findet das rechte Wort nicht. In ihren »Erinnerungen an
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