Sophie Scholl
statt. Der Staatsanwalt hatte sich Zeit gelassen seit dem Verhör durch die Gestapo Mitte Februar. Die Anklageschrift warf Robert Scholl vor, mit seinen Äußerungen gegenüber seiner Mitarbeiterin »das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben«. Seine »Bezeichnung des Führers als ›Gottesgeißel‹« sei »böswillig im Sinn des § 2 Absatz 2 des Heimtückegesetzes«. Das 1934 erlassene Gesetz gegen »heimtückische Angriffe« auf das Wohl des Reiches, die Regierung und die NSDAP sah im Höchstfall lebenslanges Zuchthaus, sogar die Todesstrafe vor.
Sophie Scholl antwortete Lisa Remppis noch am gleichen Tag, weil sie auf gemeinsame Ferientage im Herbst hoffte: »Allerdings, wie es bis dahin um uns steht, weiß ich nicht, denn in einer Woche ist die Gerichtsverhandlung wegen der Sache mit meinem Vater, und wir dürfen kaum Hoffnung hegen, dass er danach noch einmal heimkehren darf. Mein Studium werde ich dann vorläufig aufgeben.« Als Reaktion auf den Gerichtsbrief verabredete sich Sophie Scholl mit Traute Lafrenz in München. Gemeinsam räumten sie die Zimmer von Hans und Sophie auf und entfernten alles, was in den Augen der Machthaber verdächtig sein könnte. Ganz anders die Reaktion von Inge Scholl. So bedrückt und ohnmächtig fühlte sie sich und so mächtig war ihr Bedürfnis nach Trost, dass sie noch am Sonntag, als die Vorladung gekommen war, wieder nach Solln fuhr. Im Korb Pflaumen, Eier und was Lina Scholl sonst an Nahrhaftem für Carl Muth entbehren konnte. Inge Scholl traf den Freund im Garten an, zusammen mit Theodor Haecker. Sie blieb bis zum nächsten Morgen und fuhr mit »Mut und Gelassenheit« nach Ulm zurück.
Als das Gericht am 3. August zusammentrat, leugnete Robert Scholl die Gesprächswiedergaben im Großen und Ganzen nicht, versuchte aber, ihnen eine andere Deutung zu geben. Ob Richter Cuhorst, der wegen seiner harten und willkürlichen Urteile gefürchtet war, sich an den Sohn des Angeklagten erinnerte, der im Juni 1938 vor ihm gestanden und den er erstaunlich milde beurteilt hatte? Auch Robert Scholl kam – verglichen mit sonstigen Urteilen der Unrechtsjustiz – glimpflich davon. Das »bisherige tadelfreie Vorleben« wurde berücksichtigt, und es sei nicht erwiesen, »dass der Angeklagte aus grundsätzlich staatsfeindlicher Einstellung heraus gehandelt« habe. Eine »gewisse eigenbrödlerische, wirklichkeitsfremde Haltung« wurde ihm zugebilligt, »und er mag auch über das Schicksal seiner bei der Wehrmacht stehenden Söhne beunruhigt gewesen sein«. Als ob der Richter eine mögliche Kritik am Urteil im Keim ersticken wollte, hieß der letzte Satz: »Eine Gefängnisstrafe von 4 Monaten erschien erforderlich, aber auch ausreichend.« Robert Scholl konnte erst einmal als freier Mann nach Hause gehen. Mitte August erfährt Robert Scholl, dass er seine Strafe am 24. August antreten muss. Er fährt nach Stuttgart zu Eugen Grimminger und bittet ihn, während der Haftzeit sein Ulmer Steuerbüro mit zu betreuen. Von Grimminger hatten die Scholls im November 1941 erfahren, dass von Stuttgart aus Juden in den Osten deportiert wurden.
Am 23. August, es ist ein Sonntag, trifft in der Wohnung am Münsterplatz die Nachricht ein, dass Ernst Reden an der Front in Russland gefallen ist. Als Sophie Scholl, die zu Hause ist, davon erfährt, soll sie – so die Überlieferung – gesagt haben: »Schluss. Jetzt werde ich etwas tun.« Am nächsten Tag schließen sich hinter Robert Scholl die Gefängnistore in der Thalfingerstraße. Er darf einmal im Monat einen Brief schreiben, zwei erhalten und zweimal Besuch empfangen. An den täglichen Leibesübungen muss er nicht teilnehmen und bekommt die Sondererlaubnis, die »Frankfurter Zeitung« lesen zu dürfen.
Am 2. September schreibt Lina Scholl den ersten Brief an ihren Mann im Gefängnis. Am Anfang wirkt sie etwas streng: »Genügend zu essen, ist jetzt Deine Pflicht, die Einfachheit der Aufmachung darf dich nicht davon abhalten, auch nicht die Sorgen.« Dann geht es hinüber in andere, emotionale Regionen: »Auch meine Gedanken sind meist bei Dir, an irgendeinem Platz des Herzens ist es sogar wie ein Ruhepunkt. Und abends besuchen wir Dich oft, machen einen Rundgang und werfen die Frankfurter ein.« Manchmal nimmt Sophie Scholl ihre Blockflöte mit und spielt vor den Gefängnismauern »Die Gedanken sind frei …«. Über die jüngste Tochter berichtet die Mutter dem Vater: »Sofie ist munter, sie darf schon 5 Uhr Schluss machen.
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