Sophie Scholl
München« schreibt sie, dass sich die Informationssplitter in ihrem Kopf »je nach Gesichtspunkten und Zufälligkeiten aus einer Mücke jäh zu einem Elefanten aufblähen konnten. Und doch hatte ich eine rätselhafte Scheu, Hans einfach einmal offen darüber zu befragen«. Es ist an der Zeit, die Geschichte der ersten vier Flugblätter im Sommer 1942 zu erzählen, die den Titel »Die Weiße Rose« trugen und damit in die Geschichte eingegangen sind.
Zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942 haben Hans Scholl und Alexander Schmorell von München aus an rund hundert Personen nacheinander vier Flugblätter per Post verschickt. Beide haben den Text der Flugblätter heimlich im Zimmer von Alexander Schmorell in der väterlichen Villa in München-Harlaching mit der Schreibmaschine auf Matrizen getippt und anschließend auf einem Vervielfältigungsapparat abgezogen. In seinen Vernehmungen nach der Festnahme am 18. Februar 1943 sagte Hans Scholl aus, dass er den Anstoß zu dieser Aktion gegeben und Schmorell sofort seine Mitarbeit angeboten habe. Das erste und vierte Flugblatt habe er allein geschrieben, Schmorell vom zweiten und dritten Flugblatt je den zweiten Teil beigesteuert. Die Zielgruppe waren bürgerliche Intellektuelle, die man zum Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime aufrütteln wollte – Professoren, Buchhändler, Ärzte, Schriftsteller –, aber auch Verwandte, Freunde und Studienkollegen. Hans Scholl hatte die Idee, einige Flugblätter an Gasthäuser und Cafés zu schicken: »Ich wollte dadurch erreichen, dass sie populär werden, denn ich hoffte, dass die Wirte es an ihre Gäste weitererzählen.«
War Sophie Scholl in die Aktion involviert? Wenn nicht, erfuhr sie anschließend, dass ihr Bruder einer der Verfasser war? In ihrer Vernehmung nach der Festnahme hat Sophie Scholl zu diesem Komplex drei Aussagen gemacht. Im Sommer 1942 habe sie mit ihrem Bruder die ersten Gespräche über mögliche Widerstandsaktionen geführt: »Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist.« Im Juli sei der Gedanke an Flugblätter aufgetaucht. Doch erst im Dezember 1942 hätten sie und ihr Bruder den Entschluss gefasst, »ein Flugblatt in größerer Zahl herzustellen und zu verbreiten«. Was die Flugblätter der »Weißen Rose« vom Sommer 1942 betraf, erklärte Sophie Scholl: »Ich muss ganz entschieden bestreiten, sowohl mit der Abfassung, der Herstellung oder Verbreitung dieser Schrift auch nur das Geringste zu tun zu haben.« Zuvor hatte sie zugegeben, dass Traute Lafrenz ihr »etwa Mitte Juli« 1942 während einer Vorlesungspause ein Flugblatt zum Lesen gegeben habe. Ihr Bruder habe daneben gestanden, aber »weder durch Mienen, Gebärden oder Bemerkungen erkennen lassen, dass er mit dieser Schrift, das heißt mit der Herstellung und Verbreitung, irgendetwas zu tun hatte«. Wenige Tage später habe sie den Bruder gefragt, wer wohl als Verfasser in Frage komme. Er habe geantwortet, »es sei nicht gut, nach dem Verfasser zu fragen, weil man diesen dadurch nur gefährde«.
Die gleiche Frage hatte Traute Lafrenz Hans Scholl gestellt. Sie war fest überzeugt, das er dahinter steckte: »Der Inhalt der Flugblätter erschien mir sofort als Reflexion all unserer Gespräche. Ich entdeckte sofort die Literatur, die wir gelesen hatten, zum Beispiel von Schiller. Wir hatten ja viel über Staatsbildung gesprochen und darüber, wie ein richtiger Staat aussehen sollte.« Sollte Sophie Scholl diese Ähnlichkeit entgangen sein? Sollte sie sich wirklich nicht darüber mit Traute, die sie fast täglich sah, bei der sie oft zum Mittagessen war, ausgetauscht haben? Alles spricht dafür, dass Sophie Scholl davon ausging: ihr Bruder war in die Herstellung der »Weiße-Rose-Flugblätter« eingebunden. Ebenso naheliegend ist, dass Hans Scholl ihr beim Nachfragen seine Urheberschaft zugegeben hat. Mit letzter Klarheit allerdings wird sich dieser Komplex nicht klären lassen.
Eine Überlieferung allerdings ist mit Sicherheit Fiktion und von keinen Fakten gedeckt. Inge Scholl beschreibt in ihrem Buch »Die Weiße Rose«, wie Sophie Scholl mitten in der Nacht auf dem Schreibtisch in Hans Scholls Zimmer ein Buch entdeckt, in dem das Schiller-Zitat markiert ist, das im Flugblatt auftaucht. (Übrigens hatten die beiden im Sommersemester keine gemeinsame Wohnung.) Als er zurückkommt, stellt sie ihn zur Rede. Er wiegelt
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