Sophie Scholl
die Durchhalteparole von Joseph Goebbels. Mit der unausgesprochenen, aber deutlichen Drohung: Wenn wir den Krieg verlieren, werden die Sieger mit euch so umgehen, wie wir jetzt mit den Unterlegenen und Ausgestoßenen. Der Führererlass vom 13. Januar über den »Umfassenden Einsatz von Männern und Frauen für die Aufgaben der Reichsverteidigung« verlangte, dass sich alle Männer vom 16. bis 56. und alle Frauen vom 15. bis 50. Lebensjahr zum Arbeitseinsatz melden mussten. Wiesen nicht alle Anzeichen auf das Ende des Krieges und den Zusammenbruch des Systems hin?
Als Schmorell bis Mitte Januar einen Vervielfältigungsapparat besorgen soll, wird er Sophie Scholl fragen, wie viel Geld dafür in der Kasse ist. Sie muss in alles eingeweiht sein, als sie nach der Rückkehr von Ulm mit der praktischen Arbeit beginnt. Allein oder mit Hans Scholl kauft sie Matrizen, Saugpapier, Umschläge und Briefmarken. Einmal auch mit Traute Lafrenz, die Bescheid wusste. An einem sonnigen Tag im Januar schlenderten die beiden durch die Ludwigstraße. Am Straßenrad stand ein Pferdewagen, das Pferd schnaubte vor Vergnügen. Traute Lafrenz: »›Ha, Kerrle‹, sagte Sophie Scholl und klopfte ihm lachend den Hals – dann stand sie mit der gleichen Einfachheit, dem gleichen frohen Gesicht im nächsten Schreibwarenladen und verlangte Briefumschläge«. Mitte Januar lagerten im Zimmer von Hans Scholl rund 10 000 Blatt Papier, 2000 Umschläge, über 1000 Briefmarken und 20 Matrizen. Waren die Flugblätter im Sommer 1942 in der Schmorell-Villa hergestellt worden, so sollte diesmal die gesamte Produktion bei den Scholls in der Franz-Joseph-Straße stattfinden.
Extrem zeitraubend war die Adressensuche. Für die vier »Weiße-Rose-Flugblätter« im Sommer 1942 hatten Hans Scholl und Alexander Schmorell die Adressen von Freunden, Bekannten und Verwandten gewählt und ansonsten das Münchner Telefonbuch genutzt. Jetzt, wo der Radius viel weiter gesteckt war, saß Sophie Scholl – wie auch Hans Scholl und Alexander Schmorell – stundenlang im Deutschen Museum. Dort waren die Telefonbücher des »Großdeutschen Reiches«, zu dem seit Frühjahr 1938 auch Österreich gehörte, einsehbar. Wahllos schrieben sie Adressen aus den Städten ab, die auf ihrem Flugblatt-Plan standen: Augsburg und Frankfurt, Salzburg, Linz und Wien. Die Adressen in Stuttgart wollte Hans Hirzel von Ulm aus besorgen. In Ulm selbst sollten keine Flugblätter mehr auftauchen; die Gefahr war zu groß war, dass die Scholl-Familie verdächtigt wurde. In Sophie Scholls Notizbuch entdeckte die Gestapo nach ihrer Verhaftung 272 Augsburger Adressen und 14 aus München. Sie sagte während ihrer Vernehmung aus, man habe insgesamt 14 Tage gebraucht, um alle Kuverts mit Adressen zu beschreiben.
Sie müssen angespannt und müde gewesen sein, zumal Hans und Sophie Scholl, in deren Wohnung alle Fäden zusammenliefen und die Arbeits-Gespräche stattfanden. Trotzdem organisierte Hans Scholl für den 11. Januar wieder einen Gesprächs-Abend im Atelier Eickemeyer. Man feierte den Einzug von Wilhelm Geyer, der regelmäßig von Dienstag bis Freitag Atelier und Wohnung nutzen würde. Als er am Wochenende danach wieder zu Hause in Ulm ist, berichtet er seiner Frau, es sei über Kunst und Musik, Kirche und Staat diskutiert worden. Da das Atelier keine Kochgelegenheit hatte, würde Geyer das Frühstück bei den Scholls einnehmen, es war ein Weg von wenigen Minuten, und sich auch an vielen Abenden mit ihnen zum Essen verabreden. Der Zweiundvierzigjährige war ein Stück Heimat im Münchner Getriebe. »Seine Anwesenheit wirkt sehr beruhigend, er strahlt direkt eine Atmosphäre des Vertrauens aus«, schreibt Sophie Scholl am Tag nach Geyers Einzug an Inge.
13. Januar 1943 – Aus dem Tagebuch von Sophie Scholl: »Sobald ich allein bin, verdrängt eine Traurigkeit jede Lust zu einer Tätigkeit in mir. … Die schlimmsten Schmerzen, und wären es nur körperliche, sind mir tausendmal lieber als diese leere Ruhe.« Aus dem Tagebuch von Willi Graf: »Besuch bei Hans, auch am Abend bin ich wieder dort, wir beginnen wirklich mit der Arbeit, der Stein kommt ins Rollen.« Es ist ein Spannungsbogen auf engstem Raum. Nur wenige Schritte liegen zwischen Sophie Scholls Zimmer und dem ihres Bruders, wo an diesem Tag und Abend vier Personen – Willi Graf, Alexander Schmorell, Hans und Sophie Scholl – tätig sind. An zwei Schreibmaschinen sitzen die Geschwister und tippen Adressen auf die Briefumschläge, die
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