Sophie Scholl
wiederum müssen mit Briefmarken versehen werden. Vielleicht wird erstmals die Anzahl der Adressen abgeglichen, die jeder im Deutschen Museum hat aufschreiben können; denn davon hängt ab, wie viel Flugblätter in welchen Städten verteilt werden können.
Bei über 5000 Flugblättern sind Briefmarken ein wesentlicher Kostenfaktor. Briefe, die innerhalb einer Stadt versandt werden, brauchen nur 8-Pfennig-Marken; die nach außerhalb kosten 12 Pfennig Porto. Sie machen sich ans Rechnen: Ist es günstiger, wenn eine von ihnen mit dem Zug nach Salzburg fährt, dort die Salzburg-Adressen einwirft und damit pro Brief 4 Pfennig gespart werden können? Wiegt das Risiko, unterwegs bei einer Kontrolle erwischt zu werden, die Kostenminderung auf? Sophie Scholl gibt Hans Hirzel in Stuttgart Anweisungen für ihre konspirative Korrespondenz. Will er sie über seine Vorbereitungen informieren, schreibt er an Gisela Schertlings Adresse und der fingierte Absender enthält das Codewort »Zollhaus«. Ein solcher Brief wurde von Gisela ungeöffnet an ihre Freundin Sophie weitergeleitet. Umgekehrt schreibt Sophie Scholl bei Bedarf an einen Freund von Hans Hirzel und setzt als Erkennungszeichen den Anfangsbuchstaben F vom zweiten Vornamen hinter den ersten.
Am 14. Januar spricht auch Willi Graf in seinem Tagebuch von Müdigkeit und Unruhe. Er beschäftige sich viel »mit dem Plan«: »Ob das der richtige Weg ist? Manchmal glaube ich es sicher, manchmal zweifle ich daran.« Von Zweifeln schreibt Sophie Scholl nichts in ihrem Tagebuch. Es sind Traurigkeit und eine große Leere, die mit der Aktivität im Zimmer des Bruders gleich nebenan korrespondieren. Wie einige Male zuvor wünscht sie, diesen »entsetzlichen Zustand« mit körperlichen Schmerzen zu überwinden. Von Optimismus, gar Hochstimmung über die geheime Tätigkeit kann keine Rede sein. Der Wunsch zu leiden: Ist es ihr Weg, Zweifel zu verarbeiten und gegen Resignation – oder besseres Wissen – anzukämpfen?
Auch die Angst, schuldig zu werden, verlässt Sophie Scholl nicht. Ebenfalls am 13. Januar schreibt sie an ihre Freundin Lisa über Waldemar Gabriel: »Das ist ein schwieriger Briefpartner, am liebsten würde ich die Feder hinwerfen und rufen: ich mag nicht mehr.« Ihre Briefe seien wie in leere Luft gerichtet, sie überlege, einfach Schluss zu machen. Doch dann kämen ihr, »wie Du Dir denken kannst, tausenderlei Bedenken, einen Menschen gänzlich fahren zu lassen. Denn es wäre ja möglich, dass ich damit eine Schuld auf mich lüde«. Was hatte Sophie Scholl sich vorgenommen? Sie spricht vom »Überzeugen wollen« – aber »er will nicht«. Was ihr Ziel bei diesem von ihr angestoßenen Briefwechsel ist, deckt sie nicht auf.
Am Nachmittag des 13. Januar war es auf einer Feier im Deutschen Museum zum 470. Jubiläum der Ludwig-Maximilians-Universität zu einem Eklat gekommen, wie ihn keine andere Universität im Dritten Reich erlebte. Für die Münchner Studentenschaft herrschte Anwesenheitspflicht, die per Stempel quittiert wurde, verbunden mit der Drohung, bei Abwesenheit im kommenden Semester nicht mehr studieren zu dürfen. Schon während der Rede des Gaustudentenführers machte ein Teil der Studentinnen, die man geschlossen auf die Empore verwiesen hatte, ihrem Unmut über die Zwangsveranstaltung durch Zwischenrufe und Beifall an völlig falschen Stellen Luft.
Der Studentenführer hatte die Studentinnen in seiner Einleitung als »geistige Wühlmäuse« bezeichnet. Der zweite Redner, Gauleiter Paul Giesler, ging vor den rund 1200 Studenten und 300 Studentinnen zum Frontalangriff über. Eine freudige Überraschung nannte er die Soldaten, die als Studierende den Saal füllten. Eine »unangenehme« Überraschung dagegen seien die Studentinnen, die er erblickte. Er könne nur hoffen, sie würden ihr Glück »möglichst bald in Gestalt eines Mannes mit Kraft und Saft finden«. Aus Sicht des Gauleiters seien es höhere Töchter, die sich den Pflichten des Krieges entziehen wollten. Ein Teil der Studentinnen auf der Empore verließ unter lauten Protesten den Saal. Sie sprachen sich draußen ab, kamen zurück und störten von nun an die Rede durch Pfiffe, Trampeln, Scharren. Am Ende zitterte der Gauleiter vor Wut, schloss seine Rede mit den Worten »Wer gegen Adolf Hitler steht, fällt«, und befahl umgehend dem anwesenden Polizeipräsidenten, die Demonstrantinnen zu verhaften.
Damit eskalierte die Situation vollends. Sicherheitskräfte versuchten die Studentinnen im
Weitere Kostenlose Bücher