Sophie Scholl
mit einem Bleistift nicht machen könne, man bräuchte dazu Teerfarbe. Als ich ihr zu verstehen gab, dass das doch sehr gefährlich sei, antwortete sie: ›Die Nacht ist des Freien Freund‹.« Das war ein Satz, den der im August 1942 gefallene Ernst Reden, besonders eng mit Inge Scholl und Otl Aicher, aber auch mit allen anderen Scholls befreundet, geprägt hatte. Zurück in der Wohnung, es war inzwischen nach Mitternacht, bekamen sie einen Anruf von Hans Scholl. Die Schwestern sollten beim Hausmeister eine Flasche Wein besorgen, er habe in seiner Tasche noch fünfzig Reichsmark gefunden. Und so saßen, als der Morgen schon graute, die drei Geschwister Scholl und Alexander Schmorell in der Franz-Joseph-Straße beim Wein.
Es wurde eine sehr kurze Nacht, denn am 4. Februar gegen 10 Uhr machten sich Sophie und Elisabeth Scholl auf in Richtung Universität, um die Leibniz-Lesung von Kurt Huber zu hören. Sie merkten bald, dass etwas vorgefallen sein musste. Überall standen Gruppen von Studenten und flüsterten. Als sie zum Eingang der Universität kamen, sahen sie zweimal rechts in großen Buchstaben »Freiheit« geschrieben. Putzfrauen waren beschäftigt, die Worte abzuscheuern. An den Häusern der Ludwigstraße waren Stellen mit weißem Papier überklebt. Eins war abgerissen, und Sophie Scholl las »Nieder mit Hitler«. Drinnen im Hörsaal begann Professor Huber seine Vorlesung mit den Worten: »Wir gedenken heute der Opfer von Stalingrad. Die Zeit der Phrasen ist vorbei.« Besser konnte man es doppeldeutig nicht formulieren, wenn man die Lügen des Regimes offenlegen und anprangern wollte.
Am 5. Februar meldete der Oberstaatsanwalt beim Landgericht München I an den Reichsminister der Justiz in Berlin, dass in der Nacht vom 3. auf den 4. Februar an mindestens 20 Stellen in der Stadt mit Blechschablone und Teerfarbe die Inschriften »Nieder mit Hitler« und »Freiheit« angebracht worden seien. Außerdem habe man in den letzten Tagen »etwa 1300 Flugblätter anti-nationalsozialistischen Inhalts, mit demokratisch-föderalistischen Tendenzen« auf den Straßen entdeckt. Für beides galt »Die Täter sind unbekannt«.
Im Zusammenhang mit ihrer Aussage, man habe den Studenten gewisse Widerstands-Aktionen zugetraut, bekennt sich Sophie Scholl während ihrer späteren Vernehmung – ohne ersichtlichen Verdacht von Seiten der Gestapo – als geistige Urheberin der nächtlichen Schmier-Aktion. Sie habe ihrem Bruder »den Vorschlag gemacht, man soll an der Universität und deren Umgebung Farbaufschriften anbringen, welche Aufschriften zeigen sollten, dass noch Kräfte vorhanden seien, die gegen den heutigen Staat arbeiten«. Textliche Vorgaben habe sie nicht gemacht. Hans Scholl habe entgegnet, dass man erst einmal die Wirkung der Flugblätter abwarten müsse. Außerdem komme man heute nur schwer an Farbe.
Als Sophie Scholl mit ihrer Schwester am 4. Februar von der Vorlesung zurückkehrte, konnte sie ihrem Bruder nur von den Malereien erzählen und den Reaktionen der Umstehenden. Elisabeth Scholl sollte in nichts eingeweiht werden. Erst unter vier Augen sagte Sophie Scholl – laut Verhör – zu ihrem Bruder: »Das stammt wohl von Dir? – worauf ich von ihm lachend die Bestätigung erhielt.« Damit war die Geschichte, die Sophie Scholl der Gestapo erzählte, noch nicht zu Ende. Sie habe ihrem Bruder vorgeschlagen, sie »bei ähnlichen Schmierereien mitzunehmen, um ihn vor Überraschungen zu schützen«. Würde er Misstrauen erregen, könnten sie unauffällig Arm in Arm weitergehen. Auch die Reaktion von Hans Scholl steht im Vernehmungsprotokoll. Der Vorschlag leuchtete ihm ein, aber er war trotzdem dagegen, weil »solche Arbeiten für ein Mädchen nicht geeignet« seien.
Wieder stellt sich die Frage, ob Sophie Scholl, indem sie freiwillig ihre Mittäterschaft, in diesem Fall ihre geistige, zu Protokoll gibt, ihren Bruder entlasten möchte. War sie wirklich so naiv, dass sie glaubte, auf diese Weise das Strafmaß zu verringern? Zumal sie auch für diese Geschichte keine Beweise hatte, wie im Fall ihrer persönlichen Flugblatt-Aktion. Es liegt näher, dass ihr Verstand ihr nichts vormachte über die Unerbittlichkeit ihrer Ankläger. Da ohnehin nicht nach Recht und Gesetz geurteilt wurde, wollte sie wenigstens Zeugnis geben von ihrem Anteil an den Taten, die aufrütteln und ein Zeichen setzen sollten? Und wenn es vorläufig nur in den Akten der Verfolger stand. Eine Erklärung, die zu ihr passen würde, aber Gewissheit
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