Sophie Scholl
Vorlesung um 11 Uhr zu Ende war, gingen beide in ein Schwabinger Lokal zum Mittagessen. Das geschah relativ häufig, Sophie und Hans Scholl konnten sich das offensichtlich leisten. Außer der »Bodega« in der Maffeistraße zählten der »Deutsche Kaiser« in der Wilhelmstraße, »Kaiser Friedrich« in der Hohenzollernstraße und das »Seehaus« im Englischen Garten zu ihren Lieblingslokalen.
Am Nachmittag, in der Franz-Joseph-Straße, packte Sophie Scholl rund fünfzig postfertige Flugblätter in eine Aktentasche. Gisela Schertling begleitete sie auf ihrem Spaziergang durch Schwabing und hielt die Klappe auf, als Sophie Scholl die Kuverts in den Briefkasten Leopold-/Ecke-Franz-Joseph-Straße warf. Im Postamt an der Leopoldstraße kaufte Sophie Scholl einen Schwung 8-Pfennig-Briefmarken. Da Wilhelm Geyer, wie jeden Dienstag, gegen Abend aus Ulm kommen würde und sie ohnehin in der Nähe waren, räumten die beiden Freundinnen anschließend im Atelier Eickemeyer auf. Das war Frauensache.
Dann verabschiedete sich Gisela Schertling in die Lindwurmstraße, während Sophie Scholl in der Wohnung einen zweiten Brief an Fritz Hartnagel schrieb: »Gestern habe ich einen wunderschönen blühenden Stock gekauft, er steht vor mir auf dem Schreibtisch am hellen Fenster, seine graziösen Ranken, über und über mit zarten lila Blüten besetzt, schweben vor und über mir. … ich wünschte mir nur, dass Du kommst, bevor er verblüht. Wann wirst du nur kommen? … Vielleicht können wir bald zusammen irgendwo anfangen!« Als Fritz Hartnagel diesen Brief sechs Tage später, am 22. Februar, im Lazarett öffnete, fielen »einige zarte, lilarote Blütenblätter« in seinen Schoß.
Gegen 18 Uhr klingelte Wilhelm Geyer, um den Atelierschlüssel abzuholen. Hans und Sophie Scholl wollten gerade zum Abendessen ausgehen. Zu dritt gingen sie ins »Bodega«. Die Männer blieben bis 19 Uhr 30, Sophie verließ das Lokal vorher, da sie ins Konzert wollte. Hans Scholl übernachtet an diesem Abend bei Gisela Schertling in der Lindwurmstraße. Sie hat später ausgesagt, dass Hans Scholl sich in dieser Zeit von der Gestapo »scharf bewacht« fühlte und »in kürzester Zeit« mit seiner Verhaftung rechnete. Eine ähnliche Aussage machte Wilhelm Geyer über beide Geschwister. Hinweise dafür sind nicht entdeckt worden.
17. Februar, Mittwoch – Ungefähr um 9 Uhr frühstücken Sophie Scholl und Wilhelm Geyer in der Franz-Joseph-Straße zusammen. Das ist Brauch, seit der Ulmer Malerfreund am 11. Januar 1943 das Atelier in der Leopoldstraße bezogen hat, wo es keine Kochplatte gibt. Mal mit beiden Geschwistern, mal allein mit Sophie, wenn Hans die Nacht in der Lindwurmstraße verbringt. Um 10 Uhr 15 sitzt Sophie wieder in der Vorlesung von Professor Huber, zusammen mit Gisela Schertling. Beide essen zu Hause mit Hans Scholl zu Mittag. Man verabredet sich für den Abend, und Gisela Schertling geht zurück in die Lindwurmstraße.
Sophie Scholl weiß, um 16 Uhr 30 wird Otl Aicher aus Solln kommen. Und da auch der Abend verplant ist, spricht vieles dafür, dass sie an diesem Mittwoch nach dem Mittagessen das Alleinsein genießt und einen Brief schreibt: »Liebe Lisa! Ich lasse mir gerade das Forellenquintett vom Grammophon vorspielen. Am liebsten möchte ich da selbst eine Forelle sein, wenn ich mir das Andantino anhöre. Man kann ja nicht anders als sich freuen und lachen, so wenig man unbewegten oder traurigen Herzens die Frühlingswolken am Himmel und die vom Wind bewegten knospenden Zweigen in der glänzenden jungen Sonne sich wiegen sehen kann.« Sophie Scholl kann voraussetzen, dass Lisa Remppis die kammermusikalischen Variationen von Franz Schubert über sein »Forellen-Lied« gut kennt und mitempfindet, in welch heitere und gelöste Stimmung die Freundin durch dieses Stück versetzt wird. Und wie sehr die Musik Sophies Vorfreude auf den Frühling weckt: »Man spürt und riecht in diesem Ding von Schubert förmlich die Lüfte und Düfte und vernimmt den ganzen Jubel der Vögel und der ganzen Kreatur. Die Wiederholung des Themas durch das Klavier – wie kaltes klares perlendes Wasser, oh, es kann einen entzücken.«
Um 16 Uhr 30 kommt Otl Aicher und bleibt bis etwa 19 Uhr. Er wird die kommende Nacht noch in Solln verbringen und morgen gegen Mittag zurück nach Ulm fahren. Wenig später ist Gisela Schertling wieder da. Mit Sophie und Hans Scholl ist das Abendessen im »Seehaus« im Englischen Garten geplant. Anschließend sitzen sie noch bis 22
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