Sophie Scholl
zweite Flugblatt am letzten Sonntag gezeigt, als sie von Ulm zurückkam, und festgestellt, »dass sie mit dem Inhalt einverstanden war«. Dann seien sie mit gefülltem Koffer in die Universität gegangen, wo seine Schwester eigentlich am Eingang warten sollte. Aber dann sei es doch zweckmäßiger gewesen, dass sie im Innern beim Verteilen half. Den Stapel im zweiten Stock habe er von der Brüstung gestoßen. Gegen Ende des zweiten Verhörs beharrt Hans Scholl noch einmal darauf, dass seine Schwester unschuldig sei und nur am 18. Februar bei der Verteilung der Flugblätter anwesend war. Dass seine Strategie, alle Schuld auf sich zu nehmen und Sophie Scholl zu schützen, von ihr durchkreuzt wird, wird ihn nicht völlig überrascht haben.
Als Sophie Scholl, ebenfalls am frühen Freitagmorgen, von Robert Mohr vorgehalten wird, ihr Bruder habe ein Geständnis abgelegt, ist klar, was sie zu tun hat. Sie weiß, was falsch und was richtig ist und wie man handeln muss, um gerade zu sein. Aus dem Vernehmungsprotokoll: »Nachdem mir eröffnet wurde, dass mein Bruder Hans Scholl sich entschlossen hat, der Wahrheit die Ehre zu geben und von den Beweggründen unserer Handlungsweise ausgehend die reine Wahrheit zu sagen, will auch ich nicht länger an mich halten, all das, was ich von dieser Sache weiß, zum Protokoll zu geben.« Sie seien der Überzeugung gewesen, dass der Krieg verloren sei, und man etwas gegen das sinnlose Blutvergießen tun müsse. »Die ersten Gespräche, die sich mit diesem Problem befassten«, fuhr Sophie Scholl fort, »fanden im Sommer 1942 zwischen meinem Bruder und mir statt.« Damit war der Schutzwall durchbrochen, den Hans Scholl um seine Schwester gezogen hatte. Und Sophie Scholl ging noch weiter: »Das erste Flugblatt … hat mein Bruder zusammen mit mir verfasst, und zwar kurz nach Neujahr 1943.« Ihre Strategie beim zweiten Verhör wird beim Nachlesen überdeutlich. Sophie Scholl versucht, so viel Verantwortung wie überzeugend möglich mit dem Bruder zu teilen, wenn nicht sogar allein auf sich zu ziehen.
Zum entscheidenden Augenblick in der Universität sagt sie aus: »In meinem Übermut oder meiner Dummheit habe ich den Fehler begangen, etwa 80 bis 100 solcher Flugblätter vom 2. Stockwerk der Universität in den Lichthof herunterzuwerfen, wodurch mein Bruder und ich entdeckt wurden.« Es ist ein nüchterner Rückblick, kein Raum für Dramatik oder gar für Tränen. Sophie Scholl legt ihr Geständnis ebenso sicher, selbstbewusst und umsichtig ab, wie sie zuvor alles geleugnet hatte.
Und sie bleibt bei ihrer Linie, weitere Mittäter auszuschließen. Nur Alexander Schmorell, dem wohl beide Geschwister zutrauten, nach ihrer Verhaftung untergetaucht zu sein, nennt sie. Er sei bereit gewesen, »der Verwirklichung unserer Pläne näher zu treten«. Aber auch nur, weil er »politisch nicht nüchtern genug denkt und sehr begeisterungsfähig ist«. Dagegen betont sie mehrmals, »der Student Willi Graf war an der Herstellung und Verbreitung der Flugblätter in keiner Weise beteiligt«; ebenso wenig seine Schwester Anneliese. Dass beide Grafs noch in der Nacht verhaftet wurden und ebenfalls in getrennten Zellen im Wittelsbacher Palais inhaftiert werden, wusste Sophie Scholl zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Geschichte, die sie erzählt, gibt die Wahrheit nur in Bruchstücken preis. Sie muss sich weiterhin ungeheuer konzentrieren. Widersprüche, die jetzt auftauchen, würden zunehmend die Freunde, vor allem Schmorell und Graf, gefährden.
Neben die moralische Begründung am Anfang des Verhörs – etwas gegen das sinnlose Blutvergießen des Krieges zu unternehmen – stellt Sophie Scholl am Ende der Verhörs ausdrücklich die politischen Motive ihres Handelns: »Ich war mir ohne weiteres im Klaren darüber, dass unser Vorgehen darauf abgestellt war, die heutige Staatsform zu beseitigen und dieses Ziel durch geeignete Propaganda in breiten Schichten der Bevölkerung zu erreichen.« Ganz zum Schluss, bevor sie unterschreibt, bittet Sophie Scholl noch darum, ihrer Münchner Vermieterin – »gut nationalistisch eingestellt« – und deren Tochter »das Vorgefallene schonend beizubringen«. Die Tochter sei »in gesegneten Umständen« und sähe der Niederkunft entgegen – »ich möchte daher jede Aufregung bei diesen Leuten vermeiden«.
Gegen 8 Uhr morgens, berichtet Else Gebel, sei Sophie Scholl zurück in die Zelle gekommen, »etwas angegriffen, aber vollkommen ruhig«. Sophie Scholl legt sich auf die
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