Sophie Scholl
wäre furchtbar … Hindenburg und Hitler müssen sich dagegen stemmen.« Die Eintragung vom 5. März bezieht sich auf den 27. Februar, als in Berlin der Reichstag brennt. Umgehend stellen die Nationalsozialisten die Kommunisten als Brandstifter an den Pranger, noch in der Nacht werden Funktionäre, Abgeordnete und tausende von Mitgliedern der KPD verhaftet. Am 28. Februar 1933 unterzeichnet Reichspräsident Hindenburg die »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat«, mit der nach einer Vorlage der Hitler-Regierung der Ausnahmezustand eingeführt und die Grundrechte außer Kraft gesetzt werden können. In dieser Verordnung wird der Begriff »Schutzhaft« erstmals eingeführt.
Was so harmlos klingt, wird zum Markenzeichen des NS-Staates: In Zukunft kann jeder ohne Überprüfung durch einen Richter und ohne zeitliche Begrenzung willkürlich in Haft genommen werden – »zum Schutz der festgenommenen Person vor anderen, oder aber zum Schutz der bedrohten Gesellschaft vor dem Festgenommenen«. An jenem 28. Februar 1933 nutzten Hitler und Konsorten erfolgreich die bis heute unter Historikern umstrittene Brandstiftung im Reichstag, um der Republik von Weimar den ersten gezielten, legalen Todesstoß zu versetzen. Wie Inge Scholl dachten und sagten Millionen Deutscher: »Gott sei Dank«. Und sie würden Adolf Hitler, als nach nur fünf Monaten wieder Wahl war, als Bollwerk gegen den Kommunismus bestätigen.
17 277 185 Deutsche stimmten am 5. März 1933 für die NSDAP, 43,9 Prozent aller Wähler (in Ulm 45,2). Das war nur eine relative Mehrheit, wenngleich die SPD an zweiter Stelle gerade mal auf 18,3 Prozent kam. Jedoch mit den über drei Millionen Stimmen der Deutschnationalen Volkspartei, die der NSDAP an Demokratie-Verachtung nicht nachstand, hatte der alte und neue Reichskanzler Adolf Hitler legal die absolute Mehrheit hinter sich.
Mit seinem Gespür für Stimmungen wie für Machtfragen, ließ Hitler seine Mitstreiter wissen: Jetzt keine Pause machen; die Aufbruchstimmung, die so viele Menschen aus unterschiedlichsten Schichten und Milieus erfasst hatte, nutzen und ausbauen. Ebenso den Terror gegenüber demokratiefreundlichen, liberalen Zeitgenossen steigern und nicht nachlassen mit Drohungen gegen alle, die nicht bereit waren, im Gleichschritt in eine braune Zukunft mitzumarschieren. (Das »Braunhemd« trugen ursprünglich nur die Männer der SA, die brutale paramilitärische »Sturmabteilung« der NSDAP; ab 1932 wurden die Uniformen sämtlicher NS-Organisationen ausschließlich in verschiedenen Brauntönen hergestellt.)
Terror: Noch in der Wahlnacht ging eine erneute Verhaftungswelle durch das Land. Im März und April wurden im Ruhrgebiet 8000 Menschen verhaftet, in Bayern 4500: Es traf wieder vor allem die Kommunisten. Aber auch Parteizentralen und Zeitungen der SPD und der Gewerkschaften wurden von SA-Männern gestürmt, Sozialdemokraten verhaftet oder »auf der Flucht« erschossen. In Ulm besetzten SS und Polizei am 17. März das Rathaus. Schon vier Tage zuvor hatte der Ulmer Gemeinderat beschlossen, sich aufzulösen. Die allerletzte Sitzung am 18. März nutzte er, um Professor Julius Baum, seit 1924 Direktor des Ulmer Museums, zu beurlauben. Baum hatte durch seine internationalen Kontakte die Ulmer Sammlungen mit Meisterwerken deutscher Expressionisten – Kirchner, Nolde, Beckmann, Klee, Kokoschka –, Impressionisten und anerkannter französischer Maler weit über Provinzniveau gehoben. Dem konservativen Ulmer Bürgertum war der renommierte jüdische Museumsmann wegen seiner »Franzosensucht« und weil er die moderne Malerei förderte, schon lange ein Ärgernis.
Am 21. März berichteten die »Münchner Neuesten Nachrichten« von einer Pressebesprechung bei Heinrich Himmler, dem kommissarischen Polizeipräsidenten von München und Reichsführer SS: »Am Mittwoch wird in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager errichtet. Es hat ein Fassungsvermögen von 5000 Menschen. Hier werden die gesamten kommunistischen und – soweit notwendig – Reichsbanner- (SPD-Organisation) und marxistischen Funktionäre, die die Sicherheit des Staates gefährden, zusammengezogen.«
Aufbruchstimmung: Die Zeitungsleser werden die Nachricht über ein KZ in Dachau – wenn überhaupt – nur flüchtig gelesen haben. Denn an diesem 21. März 1933 schlug ein grandioses Schauspiel die Nation in Bann: die Eröffnung des neuen Reichstags. Aufgeführt wurde es zum einen in Potsdam und war live am Rundfunkgerät zu empfangen.
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