Sophie Scholl
eisernem Besen ausgefegt.
Als zukünftiger mächtigster Mann in Ulm läßt Eugen Maier, hauptamtlich Kreisleiter der NSDAP, keinen Zweifel, wie die neue Zeit politisch strukturiert wird: »Das System der Parteien, der Demokratie und des Parlamentarismus ist endgültig zerstört.« Zum Abschluss singt die Menge das »Horst-Wessel-Lied«, zuerst Marschlied der SA, dann Parteihymne der NSDAP und von nun an als zweite Nationalhymne stets zusammen mit »Deutschland, Deutschland über alles« gesungen: »Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt. … Die Straße frei den braunen Bataillonen … Es schau’n aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen. Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an.« Der »Fackelzug des nationalen Ulm« endet mit einem dreifachen »Sieg Heil«. Die neue Zeit setzt ihre eigenen Zeichen und ihre eigene Sprache.
Gegen Ende dieser Woche der Emotionen und Schlagzeilen schreibt Inge Scholl am Freitag, dem 22. März, in ihr Tagebuch: »In der Religion trat heute Stadtpfarrer Oehler sehr für Hitler ein. Er nannte den 21. März ein wunderbares Ereignis. Dass das deutsche Volk sich so geeinigt hatte.« Der zweiundvierzigjährige Geistliche, ein frommer, weltoffener Mann, hatte gleich bei der ersten persönlichen Begegnung Inge Scholls Bewunderung gefunden. »Nachmittags erster Konfirmandenunterricht, wirklich fein«, notiert sie am 11. Januar 1933. Am 21. Februar: »Konfirmandenunterricht bei Pfarrer Öhler. Habe ich furchtbar gern.« Warum sollte die Fünfzehnjährige die wohlwollenden Worte einer sympathischen Autorität, die im Namen der evangelischen Kirche für Adolf Hitler und seine Politik warb, nicht mit offenem Herzen aufnehmen? Mit ihrer Kirche, ihrem Gott und sich selbst im Reinen, konnte sich Inge Scholl – wie ihr Bruder Hans – auf ein festliches Ereignis in ihrem Leben freuen.
Noch am Konfirmationstag, Sonntag, 2. April 1933, hielt Inge Scholl das bewegende Ereignis in der Ulmer Garnisonskirche im Tagebuch fest: »Konfirmationstag. Wie festlich und ernst heute die Glocken rufen! Von Kopf bis Fuß frisch gekleidet, wanderten Hans und ich in die Kirche. … Dort sammelten wir uns in der Kapelle. Dann führte uns Herr Stadtpfarrer hinaus an unsere Plätze und die Militärkapelle spielte dazu ›Die Himmel rühmen die Ehre Gottes.‹ … Ich werde mit Hans eingesegnet. Was war das ein schönes Gefühl.« Zum Abendessen bei den Scholls waren außer Tanten und Onkeln anwesend »Frau Dr. und Herr Doktor – Herr und Frau Stadtpfarrer Öhler«. Der Herr Doktor, nebst Frau, war Ferdinand Dietrich, vom Schultheiß Robert Scholl 1927 als Arzt für Forchtenberg gewonnen. Als überzeugter Nationalsozialist diffamierte und bedrohte Dietrich in diesen Wochen in Forchtenberg und Öhringen öffentlich jüdische Bürger.
Dass der angesehene Stadtpfarrer Oehler den Konfirmationsabend bei Familie Scholl verbrachte, ist kein Zufall. Lina Scholl, ohnehin eine überzeugte Protestantin, hat ihren Lebensabschnitt als Diakonisse immer in Ehren gehalten; in Ulm war sie im Verband ehemaliger Diakonissen engagiert, eine regelmäßige Kirchgängerin und nicht kleinlich mit Spenden. In Inge Scholls Tagebuch steht im Frühjahr 1933 gar nicht so selten: »Heute waren wir wieder mal in der Kirche« – »Sofie und ich waren in der Kirche«. Das klingt nicht nach Zwang und Druck; Lina Scholl hatte Verständnis, dass ihre Kinder sonntags ausschlafen wollten. Eine typische Eintragung: »Heute war Sonntag – blieb bis ½ 12 liegen – Um 5 Uhr nachmittags gingen wir zur Kirche.« Der Vater blieb den Kirchgängen fern, so war es nun einmal. Aber er respektierte die christlichen Überzeugungen von Frau und Kindern und nahm interessiert an Gesprächen und Kontakten mit Ulmer Geistlichen teil. Neben Pfarrer Oehler kam auch Stadtdekan Otto Sauter über viele Jahre gern zu den Scholls.
Im November 1941 schreibt Robert Scholl aus Ulm einen Brief an seine Frau, die auf Verwandten-Reise ist: »Gestern war ich bei Herrn Dekan Sauter. Er lässt Dich herzlich grüßen. Auch seine Frau ist voller Sorge um unsere nahe Zukunft. Er meinte, ich hätte von Anfang schwarz gesehen und habe nun recht behalten.« Ein indirekter Beweis, doch aussagekräftig: Robert Scholl hat Hitler immer für ein Übel gehalten, nach 1933 seine demokratische Gesinnung weder aufgegeben noch verschwiegen. Er brach allerdings gute Beziehungen zu Menschen nicht ab, die Parteigenossen – wie Dr. Dietrich –
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