Sophie Scholl
oder Sympathisanten Adolf Hitlers waren, wenn sie ihm persönlich glaubwürdig und verlässlich erschienen.
Trotzdem hätte man gerne heimlich zugehört bei dem Konfirmations-Essen im Hause Scholl, denn zwei Themen der vergangenen Woche mussten jeden politisch Interessierten umtreiben. Das eine war für die Ulmer nur in Schlagzeilen präsent: ein Schandfleck in der deutschen Geschichte und zugleich unauslöschliches Ruhmesblatt der deutschen Sozialdemokratie. Am 23. März hatte der Reichstag über das »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« abgestimmt. Auf Betreiben der Regierung Adolf Hitlers sollten in Zukunft Gesetze ohne die Zustimmung der Abgeordneten erlassen werden können. Gab es eine Mehrheit für dieses »Ermächtigungsgesetz«, dann war das Ende der parlamentarischen Demokratie von Weimar ganz legal besiegelt. Um das zu erreichen, baute die NSDAP eine eindrucksvolle Drohkulisse auf. SS-Einheiten standen vor der Kroll-Oper stramm, die als Ausweichquartier für den abgebrannten Reichstag diente. Als der SPD-Abgeordnete Julius Leber die Kroll-Oper betrat, wurde er verhaftet und in Fesseln abgeführt. Ohnehin waren von den 120 Reichstagsabgeordneten der SPD nur noch 94 in Freiheit. Die KPD war schon verboten; ihre gewählten Abgeordneten, wenn nicht untergetaucht, verhaftet.
Hitler wähnte sich stark genug, sein doppeltes Spiel öffentlich zu betreiben. Der Reichskanzler aller Deutschen trat im Braunhemd, der NSDAP-Uniform, ans Rednerpult. Er beschimpfte die SPD und beschwor, wie so oft in den vergangenen Wochen, die christlichen Wertvorstellungen der Bürger, als deren Garant er sich darstellte: »Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums. … Ihre Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat.« Alle Parteien – auch das katholische Zentrum und die liberale Demokratische Volkspartei – gaben dem Gemisch aus Pressionen und Verlockungen nach und stellten Adolf Hitler und seiner Bewegung mit ihrer Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz den erwünschten Blankoscheck aus. Nur die SPD war nicht bereit, sich dem moralischen Bankrott anzuschließen.
Auf einer Schallplatte hat sich die Stimme von Otto Wels, dem SPD-Parteivorsitzenden, erhalten, wie er sich in seiner Ablehnungsrede direkt an die Nationalsozialisten wendet: »Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. … Auch aus neuen Verfolgungen kann die Sozialdemokratie Kräfte schöpfen. Sie können uns das Leben nehmen, die Ehre nicht. Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen alle Freunde im Reich. Ihr Bekennermut verbürgt unsere Zukunft.« Es gibt Stunden, in denen Pathos glaubwürdig ist. Otto Wels und die SPD-Abgeordneten, in deren Namen er sprach, wussten, dass sie für diese Worte mit ihrem Leben bürgten.
Kein Wort über das einschneidende Berliner Ereignis bei Inge Scholl. Seien wir realistisch: Die Fünfzehnjährige musste nicht alle Schlagzeilen ins Tagebuch aufnehmen und noch weniger konnte sie Ereignisse durchschauen, bei denen demokratische Politiker mit Blindheit geschlagen waren. Aber was eine Woche später, am 1. April 1933, in Ulm geschah, konnte ihr nicht verborgen bleiben, auch wenn sie am Tag vor ihrer Konfirmation sehr mit sich selbst beschäftigt war. Es füllte die Zeitungen und muss Stadtgespräch gewesen sein. Um 10 Uhr vormittags hatten sich in der Langen Straße 20 vor dem beliebten Kaufhaus »Wohlwert Volksbedarf« und beim »Schuhhaus Pallas«, Nummer 22, vor dem traditionsreichen Bekleidungsgeschäft »Weglein« am Münsterplatz 33, vor »Textil Bach« in der Sattlergasse 8 und etlichen weiteren Geschäften, deren Besitzer Ulmer Juden waren, SA-Posten aufgebaut. Sie beschmierten die Scheiben mit Hetzparolen – »›Jude‹ hier kauft kein Deutscher!« – und verteilten Handzettel mit der Aufschrift »Deutsche, kauft nur in deutschen Geschäften!«. An sämtlichen »jüdischen Unternehmungen« wurden im Laufe des Vormittags schwarze Plakate mit einem gelben Punkt angebracht.
Der Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte war eine reichsweite, von der NSDAP zentral gesteuerte Aktion. Sie wurde am 31. März mit einer Massenkundgebung auf dem Münchner Königsplatz vorbereitet. Am 1. April schrieb die NSDAP-Zeitung »Ulmer Sturm« unter der Parole »Kampf dem Judentum« über die »teuflischen jüdischen Pläne«: »Kurz vor
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