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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Grunde müsste sie es eben doch. Um gerade zu sein.«
    Am 9. Mai 1936 ist wieder ein großer Tag für Inge Scholl, die bisher den Ring II leitete: »Ringübergabe des JMRinges VII an mich – Wir sind 32 Führerinnen von 35! Wir stehen im Kreis!« Das Stakkato der Worte verrät, wie tief sie bewegt ist. Auch Sophie Scholl wird dabei- und stolz auf ihre Schwester gewesen sein.
    Um diese Zeit war Hans Scholl – nach der Rückkehr von der Osterfahrt mit seiner Jungvolk-Truppe – bereits seines Amtes als Führer des Fähnleins 9 im Ulmer Jungvolk enthoben. Seit dem Spätherbst 1935 hatte es ständige Auseinandersetzungen zwischen dem siebzehnjährigen Hans Scholl und Max von Neubeck, dem vier Jahre älteren HJ-Vorgesetzten, gegeben. Die Krise kulminierte vor dem aufmarschierten Jungvolk in einer Ohrfeige, die Hans Scholl seinem Vorgesetzten im Streit um eine Fahne verpasste, so die Erzählung von Inge Scholl. Da es keine schriftlichen Quellen gibt und keine Aussagen von Hans Scholl, bleibt die Ohrfeigen-Geschichte diffus und schwer durchschaubar. Doch mit ihr ist wieder ein Mythos verbunden: dass die Ohrfeige Ausdruck einer politischen Distanzierung von der Hitlerjugend ist und dass auch Inge und Sophie Scholl nach dem Vorbild ihres Bruder Hans bei den Jungmädeln und im BDM in Wahrheit nur die Ideale der Bündischen Jugend verbreiteten.
    Bündisch: eine fremde, ferne Vokabel. Doch sie hatte einmal magischen Klang.

DAS MORSCHE MUSS ÜBER BORD GEHEN

Die schillernde Welt der Jungmänner-Bünde
    Als Hans Scholl im Mai 1933 in die HJ eintrat und im Oktober seine Karriere im Jungvolk begann, war Max von Neubeck sein Führer, ein Anhänger der bündischen Jugendorganisation dj. 1.11. Gegründet hatte die »deutsche jungenschaft« am 1.11.1929 der zweiundzwanzigjährige Eberhard Köbel – Fahrtenname »tusk« – aus Protest gegen die traditionellen Bünde, gegen die Gruppen von Jugendbewegung und Wandervogel, die lahm, spießig und selbstgenügsam geworden seien. Tusk, eine charismatische Führerpersönlichkeit aus bürgerlichem Haus, öffnete den bündischen Gemeinschaftsgedanken für die Moderne. Zu dem Lebensgefühl, das er seinen Jungen vermittelte, gehörten neben Fahne, Lagerfeuer, Liedern und Selbsterprobung in der Natur die Liebe zu moderner Literatur und Kunst, ein Sinn für Technik und ein Gespür für Weltoffenheit. Die Fahrten der dj. 1.11. führten mit Vorliebe nach Lappland – dort hatte Köbel den Namen »tusk – der Deutsche« erhalten –, statt Klampfe wie beim Wandervogel wurde Balalaika gespielt, und abends am Feuer wurden russische, skandinavische, französische Lieder gesungen. Ein autonomes Jungenleben sollten sie führen, nicht gebunden an Familie, Rasse, Politik. Aber eine politische Dimension verpasste tusk seiner Gruppe doch, gegen alle Traditionen: In der dj. 1.11. sollten Arbeiterkinder neben Bürgersöhnen im Gleichschritt marschieren. Revolution und Sozialismus war seine Parole.
    Von einer Lapplandfahrt brachte tusk die Kohte mit, ein schwarzes rundes Zelt, in dem man Feuer machte, weil die Spitze geöffnet werden konnte. Die dunkelblaue Jungenschafts-Bluse war so erfolgreich, dass sie fabrikmäßig hergestellt und von der HJ übernommen wurde. Dazu trugen die Jungen eine kurze schwarze Hose und grobkarierte Hemden. Die Lieder der dj. 1.11. erklangen bald an allen Lagerfeuern, waren beliebt bei bündischen, sozialistischen, katholischen und evangelischen Jungen. »Über meiner Heimat Frühling seh’ ich Schwäne nordwärts fliegen«, geschrieben von tusk, gehörte dazu. Geradezu Klassiker wurden 1932/33 die Lieder der dj.1.11.-Gruppen »Eisbrechermannschaft« – »Die grauen Nebel hat das Licht durchdrungen«, »Wiegende Welle auf wogender See« – und der »Südlegion«: »Schließ’ Aug und Ohr für eine Weil’«.
    Tusk und seine Truppe verstanden sich als jugendliche Avantgarde. Keiner der großen älteren Jugendverbände konnte sich den dynamischen Ideen, dem selbstbewusst-verschwörerischen Auftreten der dj. 1.11. entziehen. Und es gab keineswegs nur Gegensätze zu überbrücken. Da waren viele Gemeinsamkeiten, die die dj. 1.11. fest mit dem Milieu der Jungenschaft verbanden, das während der Weimarer Republik so viele junge Männer prägte: Distanz zu einem demokratischen Weltbild; die Struktur von Gefolgschaft und Führer; die Vorstellung, dass befehlen nur darf, wer bedingungslos gehorcht, auch wenn die dj. 1.11. betonte, man müsse das Denken nicht ausschalten; physische

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