Sophie Scholl
im Dienst, der kann abhauen.‹ Alle bleiben.« In der Hitlerjugend geht es rauher zu, aber im Kern wird Gleiches gefordert – der ganze Mensch: »Wer diese Forderungen nicht erfüllt, soll wegbleiben. Die Aasgeier müssen auch was zu fressen haben.« So steht es am Ende eines hektographierten Blattes für Jungenschaftsführer, das Hans Scholl aufbewahrt.
Hans Scholl: Dass ihn manches an den Massenveranstaltungen des Nürnberger Parteitags, an den vulgären Männerritualen abgestoßen hat, ist nachvollziehbar. Doch er bleibt weiterhin Fähnleinführer seiner Jungenschaftsgruppe innerhalb der Hitlerjugend. Auch bei seinen Schwestern wird kein »Funke des Zweifels«, der angeblich nach dem Nürnberger Parteitag im September 1935 übersprang, sichtbar. Die Tagebuchnotizen von Inge Scholl über viele Monate nach dem Parteitag sind eindeutig: Sie und ihre Schwester Sophie – wie auch Liesl Scholl – sind weiterhin in der NS-Jugendorganisation engagiert und bereit, höhere Ämter und Aufgaben zu übernehmen.
Im Mai 1936 wird Sophie Scholl fünfzehn Jahre alt und Scharführerin in Ulm-Söflingen; sie ist nun für rund 40 Jungmädel verantwortlich. Einen Monat zuvor wurde Liesl Scholl als Ulmer Gruppenführerin vereidigt; die Sechzehnjährige hat etwa 120 Jungmädel unter ihrem Kommando. Als Spruch für die jungen Führerinnen hat Inge Scholl im Frühjahr 1936 ausgewählt: »Wir erobern unser deutsches Volk.« Selbstverständlich nehmen Sophie und Liesl Scholl weiter an den Schulungsabenden von Inge Scholl teil. Ein Ausschnitt aus den Themen, die sie in diesen Monaten vorträgt: »Rassenhygiene«; »Rasse. Was ist nordisch?«; »Ich erzähle aus dem Leben des Führers«; »Ich sprach über Mütter – Erde – Herz des Volkes – Blutstrom«; »Germanische Kunst«. Und alle Führerinnen gehen mit ihr in den Saalbau, als dort am 13. März NSDAP-Kreisleiter Eugen Maier spricht. Am 19. März wird die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink erwartet: »Meine Führerinnen gehen hin.« Und das, obwohl der Tag zuvor anstrengend und lang war. Denn am 18. März 1936 hieß es für die Jungmädel samt ihren Führerinnen: »Spalierstehen für Ministerpräsident, Kundgebung Münsterplatz.« Natürlich in Uniform. Der Anlass ist außerordentlich. Mehr denn je jubelt ganz Deutschland über seinen Führer, der wieder einmal mit seiner Vabanque-Politik erfolgreich ist.
Am 7. März 1936 waren Fahrzeuge der Wehrmacht am frühen Morgen über die Rheinbrücken in Richtung Westen gerollt, dröhnte der Gleichschritt deutscher Soldaten durch das seit 1918 entmilitarisierte Rheinland. Damit hatte Hitler den Vertrag von Versailles eindeutig und einseitig gebrochen. Aus dem Regierungsbezirk Aachen meldete die Gestapo an die Zentrale in Berlin: »Überall fanden Aufmärsche und Fackelzüge statt, bei denen die Beteiligung das bei früheren Veranstaltungen übliche Maß bei weitem übertraf.« Noch am gleichen Tag begründete der Führer und Reichskanzler im Reichstag sein Vorgehen und versicherte aller Welt, wie sehr Deutschland einer Friedenspolitik verpflichtet sei. Anschließend löste er den Reichstag auf und verfügte dessen Neuwahl für den 29. März, um »dem deutschen Volk Gelegenheit zu geben, der mit dem heutigen Tage abgeschlossenen Politik der Wiederherstellung der nationalen Ehre und Souveränität des Reiches seine feierliche Zustimmung erteilen zu können«. England und Frankreich setzten Hitlers aggressiver Außenpolitik nichts entgegen. Es blieb bei einer folgenlosen Anrufung des Völkerbundes.
Am 18. März kam der bayerische Ministerpräsident und SA-Gruppenführer Ludwig Siebert im Verlauf der »Wahl-Kampagne« nach Ulm; darauf bezieht sich Inge Scholls Notiz übers »Spalierstehen«. Höhepunkt ist die Abschlusskundgebung auf dem Münsterplatz, zu der 2000 Ulmer Jungen und Mädchen von HJ und BDM antraten. Ihr »Dienst« hatte schon am Bahnhof begonnen, um den Ministerpräsidenten würdig zu empfangen. Das »Ulmer Tagblatt« berichtet: »Schon in den Nachmittagsstunden sah man überall die Jungen und Mädel in ihren schmucken Uniformen in den Straßen der Stadt. … In offenem Viereck waren die Pimpfe einmarschiert; die Jungmädel bildeten Spalier. Nach dem Empfang rückten die Kolonnen zum Propagandamarsch ab. Beinahe endlos schien der Zug. Voran marschierte der Spielmannszug; es folgten die Fahnen und die Formationen des Jungvolks und der Jungmädel. Wenn diese Jungen auch in verschiedenen Elternhäusern, bei reich oder
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