Sophie Scholl
Eifersucht nagt am Herzen und soll am 29. November mit einer großmütigen Geste bekämpft werden, als es um das Tanzkränzchen bei Inge Scholl geht: »Kommst Du? Als mein Partner oder noch besser mit Charlo.« Oder riskiert Sophie Scholl in ihrem Brief eine verwegene List, um Gewissheit zu erlangen?
Es sind neue, aufregende, verwirrende Gefühle, die Sophie Scholl empfindet: »Morgen ist das Kränzchen von Inge. Hoffentlich kommt Fritz. Er muss doch wohl kommen … Ich muss mich anstrengen … an mir liegt es. Ich darf und darf nur geben. Es fehlt mir der letzte Schneid dazu. Es ist immer noch eine süße Hoffnung da … Ich muss Fritz morgen Abend sehen … es fehlt mir an Mut. Ich werde so leer.« Noch keine zwei Monate liegt der Brief zurück, in dem eine kecke, selbstbewusste Sophie Scholl ihre Freundin Lisa Remppis auffordert, den Herbsturlaub gefälligst in Ulm zu verbringen. Und nun die Angst, dass er nicht kommt; und dann die Angst, dass ihre süße Hoffnung sich in nichts auflöst, weil sie es nicht schafft, ihn an sich zu binden. Wer bei Annelies Kammerer oder bei Inge Scholl in diesen Wochen zum Tanztee kommt, kennt eine Sophie Scholl, die ihren Jungmädeln sagt, wo es lang geht. Doch plötzlich kehren im Herzen und im Kopf die uralten Rollenbilder wieder. »Es ist mir genug, dass ich Fritz glücklich machen darf. Das ist schön«, hat sie am 3. Dezember geschrieben.
Die Verwirrung muss groß gewesen sein, wenn das Denken, auf das die junge Sophie Scholl stolz war, so sehr in die Hinterhand gerät. Am 10. Dezember stellt sie sich im Tagebuch selbst zur Rede, versucht den Ring der Emotionen zu sprengen: »Charlo war 2 Tage bei uns – Ich weiß nicht, wo ich dran bin … Ich habe Fritz gern wie keinen Menschen. Was schreibe ich auf – ist doch alles sentimentaler Quatsch.« Doch schon am nächsten Tag schreibt Sophie Scholl an den vier Jahre Älteren einen Brief, in dem die Gefühle Purzelbäume schlagen und es gedanklich kreuz und quer geht, nicht zuletzt, was »Charlo« betrifft: »Sharlo war 2 Tage bei uns. Es wäre nett, wenn sie länger, ein paar Wochen, bei uns gewesen wäre … Was hast Du gedacht, wie sie plötzlich nicht mehr da war? Na, Hauptsache, es ist ihr nicht schlecht gegangen … Kommst du in nächster Zeit mal nach hier? In Deinem Urlaub oder sonst? Ich liege nämlich jetzt gerade im Bett. Deshalb schreibe ich mit Blei. … Und über Neujahr könntest Du kommen, Fritz? Das wäre prima. Wenn möglich Fritz, so komme doch bitte mal vor Weihnachten her, ich würde gern mal was mit Dir sprechen. Wenn Du magst natürlich bloß. Herzliche Grüße Deine Sofie.« Welche Unordnung der Gefühle, und wie eindeutig die Botschaft dahinter.
Drei Tage später, am 14. Dezember 1937, wird Hans Scholl, der seit Anfang November beim Kavallerie-Regiment 18 in Bad Cannstatt seinen Wehrdienst ableistet, in der Kaserne verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis nach Stuttgart gebracht. Und damit halten wir den Faden in der Hand, der uns zu der Frage führt, warum Robert Scholl am frühen Morgen des 27. November beim Klingeln an der Haustür nicht seine Töchter, sondern die Gestapo erwartete. Der Schrecken saß noch fest in seinem Gedächtnis: Denn als er am 10. November morgens auf ein Klingeln hin geöffnet hatte, standen mehrere Gestapo-Leute vor der Türe.
Sie durchsuchten die Wohnung, dann nahmen sie Inge, Sophie und Werner Scholl mit ins örtliche Gefängnis. Sophie Scholl schickten sie gleich wieder nach Hause, ihre Festnahme war ein Irrtum. Im Laufe des Vormittags wurden in Ulm rund ein Dutzend Jungen zwischen zwölf und siebzehn Jahren verhaftet, manche mitten im Unterricht. Zwei von ihnen gehörten zu Hans Scholls Truppe, die im Sommer 1936 mit der Kohte auf Lapplandfahrt war. Sie wurden noch am Abend zusammen mit Inge und Werner Scholl auf einem offenen Lastwagen bei Schneetreiben nach Stuttgart gefahren. Zur gleichen Zeit wurde Ernst Reden, der Ende September seinen Wehrdienst in Ulm beendet hatte, im heimatlichen Köln verhaftet. In allen Fällen lautete der Grund der Verhaftungen »bündische Umtriebe«. Inge Scholl, die keine Führerin im Ulmer BDM mehr war, und ihr Bruder Werner, der sich in der HJ nie um Posten bemüht hatte, kamen nach wenigen Tagen wieder frei, ihnen konnte man nichts nachweisen. Lina Scholl holte ihre Kinder in Stuttgart ab, Vesperbrote und selbstgebackene Plätzchen in der Tasche.
Zur Erinnerung: Die vielfältigen bündischen Jugendgruppierungen der Weimarer Republik,
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