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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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der erste. Doch im Lauf der Zeit erweisen sie sich als emotional, unbeständig und geistig unfähig, den Wert anderer Dinge außer Gobelins und sonstigem Schnickschnack einzuschätzen.
    Fortescue stört nur ungern. Er räuspert sich und fragt: »Sir ...?«
    Sein Herr antwortet, ohne ihn anzusehen: »Du kannst jetzt abräumen, Fortescue.« Er fährt sich durchs Haar. »Ich werde einen Rundgang durch die Porträt-Galerie machen«, verkündet er. »Später kannst du dann den Abwasch erledigen.«
    Nachdem Fortescue die halbvollen Teller abgeräumt hat, begibt sich Lord Lychworthy nach unten. Fortescue folgt ihm, ein Skelett in muffigem Schwarz, das einen dreiarmigen Kerzenleuchter trägt. Mehr Licht mag Lord Lychworthy nicht, das weiß er, nicht in der Porträt-Galerie. Der Herr will die Gesichter seiner Vorfahren nicht zu deutlich sehen. Ihre dumpfe, starrende Präsenz ist es, die er sucht.
    Herr und Diener durchqueren den Orrery Room, wo das Kerzenlicht sich schwach auf Kugeln aus Gold und Silber spiegelt, die sich mit exquisit ausgesteuerten Antrieben auf Quecksilberbad-Lagern bewegen. Lord Lychworthy beachtet sie nicht, wie er die Welten nicht beachtet, die sie darstellen. Sie überqueren den Gang zum Arsenal, wo der Kerzenschein von den Glasscheiben der Instrumentenschränke reflektiert wird und als Antwort einen Hauch von Kirschholz, Elfenbein und Stahl erahnen läßt. Viele Stücke in ihrem Innern sind Unikate und waren sicher unglaublich teuer. Seine Lordschaft muß beim Sammeln Hilfe von außerirdischen Geschäftsfreunden weit außerhalb des Weltenregisters gehabt haben, wenn man Form und Material mancher Stücke betrachtete. Nur hier, auf einem giftigen Mond fernab der üblichen Routen konnte er solche Schätze anhäufen, ohne Eindringlinge und Räuber fürchten zu müssen.
    Sie sind nun am Ziel, der Earl und Fortescue, in der Porträt-Galerie. Hinter ihnen pendeln die Schwingtüren langsam aus. In dem Raum ist es totenstill, die Luft geschwängert vom Duft nach altem Firnis. Die Wände haben die Farbe von gekochtem Weißkohl. An ihnen recken sich große dunkle Ölgemälde wie die Segel von Begräbnis-Barken in die Schatten. Hier und dort wird im Kerzenschein ein Detail sichtbar: eine Kompaß-Platte; eine hängende Unterlippe; ein Säugling in Windeln.
    Lord Lychworthy betrachtet zuerst ein kleines Porträt seiner Mutter. Er sagt kein Wort. Er hat lange über Mütter und die Fürsorge, die einige offenbar für ihre Sprößlinge zeigen, nachgedacht. Er kann sich nicht erinnern, daß seine Mutter sich jemals für etwas anderes als für Klatsch und für das Üben ihrer boshaften Zunge interessiert hätte. Wenn sie redete, war es gleich, wer zuhörte. Sie war immer eifrig bemüht herauszufinden, welche Meinung diese oder jene insgeheim von einem Kleid einer anderen hatte, und verbarg es geschickt, wenn sie ihr Ziel erreichte. Der Lord erinnert sich ihrer Briefe an ihn aus der Villa bei Nizza, als er auf der Akademie war: zusammenhanglos, voll kleinlicher Bosheiten und versteckter Anspielungen, voller Ausrufungszeichen und Einzelheiten ihrer Vergeltungsaktionen gegen andere Ehefrauen dort unten im Exil, die sie auch nur im geringsten beleidigt hatten. Zudem erteilte sie ihm ständig Instruktionen und drängte ihm ihren Rat auf.
    Auch sein Vater gab ihm Ratschläge, wenn er ihn sah. Aber das war etwas anderes. Dabei ging es um Geschäfte, um Männerarbeit. Es gab so vieles im öffentlichen und privaten Bereich, das der Junge einmal übernehmen sollte und auf das er vorbereitet werden mußte.
    Trotzdem hatte der Lord nie viel Zeit in der Gesellschaft seiner Eltern verbracht. Zuerst gab es da eine lange Abfolge verschiedener Schulen, danach die erforderlichen Posten in allen Regionen. Er stand schon auf der Brücke eines Sternen-Schoners, als man ihm die Nachricht vom Tod seines Vaters brachte, und seine Mutter starb kurz danach – noch im selben Monat, als er schon auf dem Weg nach Hause war. Man sagte, er habe es sehr gefaßt aufgenommen. Kaum jemand schien sich darüber zu wundern, daß es solche Zufälle gab. Der neue Earl brachte es sogar fertig, dem Erzbischof gegenüber eine Bemerkung über die Zweckmäßigkeit eines solchen Doppelbegräbnisses zu machen.
    Er hatte die Nase voll von den Welten mit ihren dummen und streitsüchtigen Bewohnern – und dazu hundertmal mehr als genug Platz im Raum, als er die Erfolgsleiter zu dem Amt erklomm, das er jetzt bekleidete. Für die Kunst, sich durch die wechselnden

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