Sophies Kurs
jeglicher Gesellschaft und Geselligkeit mangelt? Doch nur jemand, der kaum auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation, aber gern auf den Ärger mit den Nachbarn verzichten möchte. Und schon verdächtigen wir ihn, der radikalste Menschenfeind zu sein, den es gibt. Dabei muß er ein extrem reicher Menschenfeind sein, wenn er sich die Kosten für den Import von Lebensmitteln und Wasser leisten kann, ganz zu schweigen von der Extravaganz, jeden Atemzug an Luft vorher einer Wäsche und Umwandlung zu unterziehen.
Dafür kostet ihn die Wärme nichts. Auf Io gibt es genug ungenutzte Energie für jemand, der unverfroren genug ist, in den bebenden, aufsässigen Boden zu greifen und eine seiner Venen anzuzapfen. Außerdem verschwendet er ja kein Geld für irgendwelche Unterhaltung, denn die einzigen Besucher sind die, deren Geschäfte sie hierherzukommen verpflichten: Postboten, Abgesandte, Staatsbeamte, Vertreter der hiesigen Regierung usw. Nur Beamte der Piloten-Gilde landen hier freiwillig, weil sie die Folgen fürchten, wenn sie vorbeifliegen, ohne ihre Dienste anzubieten. Aber niemand bleibt lange.
Gestern kam ein Pilot von Calliope herauf und überbrachte dem Herrn Grüße und Papiere seiner Geschäftspartner auf dem Mars sowie Botschaften von Leuten, die er bei der Beerdigung getroffen hatte. Heute ist der Pilot schon wieder abgeflogen, und ließ den Herrn sowie seinen betagten Leibdiener in ihrer Einsiedelei zurück.
»Darf ich abräumen, M'lord?«
»In einer Minute, Fortescue.«
Der Earl von Io sitzt allein im Bankettsaal und hat die Arme auf den Tisch gestützt. Während die Standuhr laut tickt, starrt er blicklos auf das weiße Tischtuch aus irischem Leinen und die Überreste seines Mahls. Er hat ohne Appetit gegessen, das hat sein Diener bemerkt, denn der Pilot hat schlechte Nachrichten gebracht. Eine schlimme Plage ist wieder aufgetaucht, um sie heimzusuchen – ist aus dem tiefsten Grab wiederauferstanden.
Lord Lychworthy, Hochmeister der Erhabenen Hierarchie und der Höchst Ehrenwerten Gilde der Piloten von Aether ist ein stämmig gebauter Endfünfziger. Er hat ein breitflächiges Gesicht, mit dem die Winde des Raums nicht gerade zimperlich verfahren sind. Die Nase ist flach und rundlich, der Mund wie auch jetzt eine meist ausdruckslose gerade Linie von Winkel zu Winkel. Die großen, sehr dunklen Augen zeigen eine fast schwarze Iris. Schwarz sind auch das dichte glatte Haar, das Seiner Lordschaft bis an den Kragen reicht, und der hübsche, kurzgetrimmte Backenbart, der jetzt auf den Inneren Welten so in Mode ist. Das heißt aber nicht, daß der Lord einen Hang zu modischen Dingen – oder gar zur Schicklichkeit – pflegt. Jeder ist korrupt, und selbst der Schwanz eines Pfaffen zuckt beim Anblick eines hübschen Petticoats.
Ein großes radförmiges Gerät kriecht über den Boden des Bankettsaals und saugt durch einen Lederschlauch den Staub aus dem Teppich. Es sieht aus wie eine riesige, würdevolle Schnecke. Fortescue weicht dem blinden, automatischen Pfad der Maschine aus und zieht den Fuß zurück. In der dumpfen Stille lauscht er außer dem langsamen Ticken der Uhr auch dem winzigen schlürfenden Wimmern des Geräts.
Man könnte glauben, sie liefe mit einem Uhrwerk, aber es ist keins. Und wenn es doch eins ist, dann verfügt es über einen Mechanismus, sich selbst aufzuziehen. Seine Lordschaft besitzt viele solcher fortschrittlichen Maschinen, von denen einige nach seinen eigenen Entwürfen angefertigt wurden, andere wiederum aus ungenannten Quellen stammen. Lord Lychworthy zieht Maschinen den Wesen aus Fleisch und Blut vor. Maschinen gehen dorthin, wo man sie haben will. Sie halten nicht inne oder stören einen. Wünscht sich Seine Lordschaft an einer melodischen Frauenstimme zu ergötzen, reproduziert eine Maschine den Gesang einer gefeierten Sängerin für ihn, so oft er es sich gestattet, die Kurbel zu drehen. Will er die Interpretin oder sonst jemand wieder zum Schweigen bringen, hat er auch dafür Geräte, die das für ihn erledigen.
Es sind nur die Leute, die einen enttäuschen, denkt Lord Lychworthy.
Der Lord hat nie geheiratet. Die Lychworthys haben Frauen immer ausgesprochen ermüdend gefunden, zumindest Frauen in ihrem häuslichen Umfeld, in dem auch die größte Schönheit mit den fortschreitenden Jahren verblaßt. Der augenblickliche Earl verabscheut ihr unablässiges Geschwätz und die Trivialität ihres Denkens. Ihren Charm zu akzeptieren, zumindest solange sie jung sind, wäre er
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