Sophies Kurs
Strömungen des Flux hindurchzuschlängeln, hatte er sich nie sonderlich interessiert, und er war sehr froh, als er diese lästige Pflicht an den Nagel hängen konnte. Nicht einmal jetzt, zu den seltenen Gelegenheiten, in denen er seine Festung verlassen muß, findet er Gefallen daran, sein eigenes Schiff zu steuern.
Lord Lychworthy dreht sich um und tritt seinen Vätern gegenüber. Die ganze Wand ist voll von ihnen: In zwei Reihen hängen sie da, die früheren Hochmeister der Gilde.
Der gegenwärtige Amtsinhaber murmelt einen Befehl. Er dirigiert Fortescue zu der letzten Leinwand in der Reihe und läßt ihn den Leuchter vor dem 27. Earl heben, dessen Bart wie ein dunkles Wappen wirkt. Er hat diese tiefen grünen Ränder unter diesen Augen, die nie eine Regung zu zeigen scheinen, weder Freude noch Ärger.
»Fortescue«, sagt Lord Lychworthy, als wolle er ihm seinen alten Herrn vorstellen. »Mein Vater, der 27. Earl von Io.« Seine Lordschaft denkt nach. »Er war ein großer Mann.«
»Ja, Sir, er war ein großer Mann«, murmelt Fortescue ehrfürchtig.
»Der erste Mensch auf Corregio. Doch andere ernteten den Ruhm.«
»Gemeine Lügner, Sir!« Fortescue nickt.
Der Earl macht einen Schritt, dann noch einen, und bleibt vor dem Bild seines Großvaters stehen, der Schatzmeister der Gilde war, ehe er die Präsidentschaft übernahm. Der Maler hatte ihn mit seiner Goldkette gemalt und den Knauf seines Stocks mit der Pranke einer Wildkatze verziert. Man sieht auf den ersten Blick, daß sie etwas gemeinsam haben: die Ähnlichkeit ihrer Gesichter, die gleichen wachsamen Augen, die starken Zähne in dem kräftigen Kiefer.
»Fortescue«, sagt Lord Lychworthy. »Mein Großvater, der 26. Earl von Io.« Er schweigt einen Moment. »Er war ein großer Mann.«
»Ja, Sir, er war ein großer Mann«, versichert Fortescue.
»Er steuerte die Bark
Tragopan
um das Horn von Cassiopeia, als er noch keine zweiundzwanzig Jahre alt war.«
»Waren große Männer in jenen Tagen, Sir«, meint Fortescue.
Der Earl dreht sich vehement zu ihm um. »Jawohl, Fortescue! Große Männer! Und auch große Diener. Getreue Männer!«
Fortescue hört den Zorn in der Stimme seines Herrn, die ungeheure schwarze Wut, die ständig auf dunklen Schwingen in ihm hockt wie eine Krähe auf einem Grab. Die Kerzenflammen spucken und tanzen in den Pupillen. Doch sein Blick ist in die Ferne gerichtet, an Fortescue vorbei, als schaue er hinaus in die Weiten des Raums und beobachte ein Schiff, das auf einer kräftigen Strömung hereinschwebt.
»Ja, Sir«, sagt Fortescue, und seine Stimme klingt beschwichtigend.
Der Earl schaut ihn an, konzentriert den Blick auf ihn. Der Hauch eines Lächelns kräuselt den strengen Mund. Mit dem Zeigefinger tippt er auf Fortescue's Weste. »Getreu wie der Motor in deiner Brust«, sagt er.
»Wie meinen, Sir?«
»Dein loyales Herz, Fortescue«, antwortet Lord Lychworthy.
»Sehr verbunden, Sir«, haucht Fortescue und tippt sich mit dem knochigen Zeigefinger gegen die Stirn. »Wirklich sehr verbunden, ja, Sir, wirklich. Ich hoffe und bete darum, daß dieses loyale Herz so lange schlagen möge wie Ihr eigenes, Sir, und Ihnen immer dienen kann.«
Fortescue ist froh, daß sein Herr nicht über ihn verärgert ist. Er ist aber ziemlich sicher zu wissen, wer derjenige ist. Schließlich hat er selbst den Funkspruch abgesetzt, der den Emissär hierher beordert.
Lord Lychworthy schaut nun auf die leeren Stellen an der Wand seiner Väter, auf diese Stellen, die er nie bedeckt sehen wird. Die erste freie Fläche wartet auf sein eigenes Porträt, das nun an seinem Ehrenplatz im Aeyrie hängt. Die Fläche daneben soll einmal das Bild seines Sohnes einnehmen. Lord Lychworthy hat keinen Sohn. Und das, glaubt Fortescue, ist die Wurzel allen Übels. Er selbst hat weder Frau noch Kind, obwohl er beides gehabt hat – früher, vor vielen Jahren. Lord Lychworthy hat keines von beiden, hatte es nie. Aber mit dem Sohn hat es ja auch noch Zeit, sagt sich Lord Lychworthys Diener, viel Zeit. Außerdem braucht es dazu ja auch nur einen Moment.
Als Mr. Cox wenige Tage später eintrifft, schickt Fortescue ihn sofort nach oben, wo der Earl ihn schon in seinem Studierzimmer erwartet. Mr. Cox legt die Handschuhe in seinen Helm und überläßt ihn zusammen mit seinem Stock dem Diener. Dann beeilt er sich, dem Befehl des Earls nachzukommen. Kein ungutes Gefühl warnt ihn, zumindest keins, dem er Beachtung geschenkt hätte. Schließlich ist es nicht das erste Mal,
Weitere Kostenlose Bücher