Sophies Kurs
Grat des Schwarzen Brunnens war zu einer dünnen Nadel geschrumpft. Und da, unter uns, tauchte der Clipper
Roc of Madagascar
aus der Nacht im Westen auf. Seine Silhouette kroch über das Webmuster der Kanäle wie eine juwelenbesetzte Spinne über ihr Netz.
Um uns herum war es jetzt überall finstere Nacht, und der Mars wurde allmählich unter uns voll, rund und rot wie ein dritter Ballon, der fünfzigmal zu groß ist. Am Horizont schob sich Deimos in Sicht. Ich schaute zu den Mastspitzen empor und stellte fest, daß wir in Richtung Phobos aufstiegen, wobei wir uns strikt in seinem Schatten hielten. Er hing über uns wie eine gigantische Kartoffel und löschte die Sonne aus. Durch den violetten Helm war der Raum indigofarben und schimmerte schwach.
Ich beobachtete die Blauen Jungs, wie sie in ihren Miniatur-Anzügen über die Querbäume turnten. Schon begann die Takelage weißlich unter einer Schicht Rauhreif zu schimmern. Sie ließen den Spinnaker herunter, der den Aetherwind auffangen sollte. Captain Andreas stand bei der Winsch. Das Ruderhaus war leer. Unseren Commander konnte ich nirgendwo entdecken. »Wo ist Signor Pontorbo, Captain?« fragte ich, wobei ich meinen Helm gegen seinen preßte. Er runzelte streng die Stirn und schob mich mürrisch, aber bestimmt zur Seite, wobei er mit dem Daumen ein undeutbares Zeichen machte. Ich konnte daraus nur schließen, daß der Signor sich unter Deck aufhielt.
Unter Deck war niemand. Ich versuchte es schließlich in der Kombüse. Er stand über eine weiße Emailschüssel gebeugt und rieb sich das Gesicht mit einem Handtuch trocken. Der Pferdeschwanz reichte fast bis zur Hälfte seines breiten Rückens. Ich öffnete den Helm, um mit ihm zu sprechen. »Bis jetzt hat sich noch niemand an unsere Fährte gehängt, Signor!«
Von hinten sah er genau aus wie der Signor. Er trug sogar den chinesischen Kittel mit den Schwertern und seinen Ring an der hübschen Hand. Doch als er sich aufrichtete und das Handtuch sinken ließ, schaute ich in das Gesicht eines Mannes, den ich nicht kannte.
KAPITEL XVII
Vorgeschichte
»Wer sind Sie?« rief ich. »Was haben Sie mit Signor Pontorbo gemacht?«
Das Gesicht des Mannes war kantig und rot angelaufen, hier und dort sogar blutverschmiert. Eine hohe Stirn wölbte sich über den hoch angesetzten Wangenknochen und einer Stupsnase. Auch die Wangen waren nicht so rund und voll. Mein Retter war verschwunden – und hatte nur seine Augen zurückgelassen, in diesen dunklen, seltsamen Höhlen.
Der Mann vor mir hatte keine Augenbrauen. Er hielt das Handtuch in beiden Händen. »Miss Clare«, sagte er nur. Es war die Stimme von Signor Pontorbo, warm und entschlossen.
Er hatte sich rasiert. Er hatte sich das ganze Gesicht rasiert, und deshalb kam es mir jetzt so rot und kahl vor. Seine Augenbrauen waren verschwunden. Ich umklammerte den Türgriff und fragte mich, welcher magische Rasierer wohl so tief in die Haut geschnitten und seinen Wangenknochen eine andere Form gegeben haben könnte.
Er sah mich mit den Augen von Signor Pontorbo an und zog schließlich eine Grimasse. Danach trat er beiseite, um mir Platz zu machen.
»Mi vogliate perdonare«,
meinte er und bedeutete mir, einen Blick in die Schüssel zu werfen.
Widerstrebend folgte ich seiner Anweisung. Ich weiß, ich werde nie vergessen, was ich dort sah. Das Wasser war blaßgelb wie Urin mit kleinen weißen und rosafarbenen Kügelchen und Streifen. Darin schwamm, die Innenseite nach außen gekehrt und über und über bedeckt mit einem schaumigen rosafarbenen Schleim, das Gesicht von Signor Pontorbo.
Mein Magen hob sich – was nicht das geringste mit dem Schlingern des Schiffes zu tun hatte. Ich taumelte mit ausgebreiteten Armen rückwärts zur Tür. Der Mann machte keinerlei Anstalten, mich aufzuhalten.
»Was haben Sie mit ihm gemacht?«
kreischte ich.
»Nichts,
signorina«,
antwortete der Mann ruhig. »Ich bin er. Ich bin es, wirklich. Signor Pontorbo hat nie existiert.« Dabei zeigte sein Gesicht den Ausdruck eines Mannes, der gerade einen Zaubertrick zu seiner völligen Zufriedenheit vorgeführt hat.
»Sehen Sie her.« Er streckte die Hand aus. »Der Ring meines Vaters. Ich bin es,
signorina,
wirklich.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wäre am liebsten davongelaufen. Aber wohin?
Mit bebender Stimme fragte ich: »Wer sind Sie, Sir?«
»Sie können mich Bruno nennen. Das ist mein richtiger Name. Glauben Sie mir, Miss Clare, ich bitte Sie darum. Ich schwöre es beim Grab
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