Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:
seine Hand über den Mund. »Er weiß also, daß Sie hier sind«, murmelte er.
    In diesem Moment hatten die letzten Teile des Zuggeschirrs Feuer gefangen, und es gab dem verzweifelten Zerren des Ochsen nach. Sofort stürmte er hinaus in den Nebel.
    Wir rannten zurück nach unten und stiegen in das Untergeschoß hinab. Die Hitze nahm zu, je tiefer wir kamen. Sie kroch uns auf den Stufen entgegen. Noch immer waren wir niemandem begegnet.
    Bruno blieb stehen, um ein Schloß zu öffnen. Ich packte ihn am Arm. »Geben Sie mir ein Messer!«
    Mein Begleiter zögerte keinen Moment. Er zog das silberne Messer aus der Scheide, mit dem er die Schlange getötet hatte, als wir an Bord der
Giaconda
gingen. Es war schwer, sein Kern verbleit, der Griff mit schwarzem Lapis ausgelegt.
    »Nicht dieses«, flüsterte ich.
    »Ich habe nur die beiden, und den Dolch«, antwortete er und zeigte mir die feststehende Klinge, die – ich weiß nicht wie und woher – plötzlich in seiner linken Hand aufgetaucht war.
    »Und das andere«, murmelte ich, als wir den dunclen Raum betraten, der mit seltsamen Möbeln vollgestopft war. »Das, welches Ihrem Vater gehörte.« Ich meinte das Ding, mit dem er Hercule umgebracht hatte. Ich wußte, es tötete bei der bloßen Berührung und erforderte vermutlich keine große Geschicklichkeit. Ich war sicher, damit umgehen zu können.
    Bruno schüttelte wortlos den Kopf. Ich nahm den Dolch, packte ihn am Heft und schleuderte ihn gegen die Tür, durch die wir gerade gekommen waren. Ich warf ihn viel zu hart. Das Messer schrammte an der Decke entlang, prallte mit dem Knauf gegen die Tür und schlitterte außer Sicht. Sofort sprang ich hinterher.
    Bruno war verärgert. »Es ist für Fleisch gedacht!« rügte er mich, als ich mit der Waffe zurückkam. »Holz ruiniert es bloß.«
    Aber ich hatte schon beschlossen, das Messer nicht mehr zu werfen, denn das hieße, es aus der Hand zu geben. Ich schob es in meinen Gürtel und hoffte, daß ich es nicht beim Laufen verlor.
    Bruno eilte im Dunkeln vor mir her. Ich hörte, wie vor mir hinter einer Biegung des Gangs eine Tür geöffnet wurde, und steigerte mein Tempo. Ich glaubte ihn hinter einer Doppeltür aus Glas zu erkennen, doch als ich hindurchstürmte, entpuppte sich die Gestalt als Büste auf einem Sockel. Hinter mir schwangen die Türen vor und zurück und verursachten dabei ein dumpfes Geräusch, das durch den großen, völlig dunklen Raum hallte. Es roch nach Politur und Leinöl.
    Ich war allein. Sofort machte ich kehrt und lief auf ein Licht zu, das ich im Gang sah.
    Das Licht stammte von drei Kerzen. Es beleuchtete Brunos Hinterkopf, fiel auf sein langes braunes Haar und den breiten Kragen seines Mantels. Und es beleuchtete den kahlen Kopf und den engen schwarzen Ärmel des betagten Dieners, der über ihm in einem Türeingang stand und einen dreiarmigen Kerzenleuchter hochhielt.
    »Sie waren nicht in der Kutsche, Sir«, hörte ich den Mann sagen.
    »Grazie al cielo –
ich war es nicht«, erwiderte Bruno knapp. Ich merkte, daß er froh war, mit jemandem zu reden oder zumindest einem menschlichen Wesen gegenüberzustehen.
    »Treten Sie zur Seite, Fortescue.« Bruno griff mit der Hand an den Gürtel.
    Doch der Mann rührte sich nicht. Er hatte ein bleiches, faltiges Gesicht mit hohlen, eingesunkenen Wangen. Wie hatte diese alte Vogelscheuche ein solches Inferno draußen vor dem Eingang entfachen können? Er war so dünn, wie ein Mann nur sein konnte, und vom Alter ausgedörrt; und doch versperrte er uns mit dem breiten Schild seiner Autorität in diesem Haus den Weg.
    »Das ist das Studierzimmer des Herrn, Sir.« Seine Stimme war ein trockenes Flüstern, dem alles fehlte außer der verstaubten Würde, die Butlern und Stewards und Majordomos im ganzen Universum zu eigen ist. Er war ganz in Schwarz gekleidet und roch muffig. Bruno hätte ihn mit einer Hand hochheben können. Ich wunderte mich, daß er es nicht tat.
    »Der Herr schläft gerade«, fuhr die heisere Stimme tadelnd fort. »Sie müssen schon bis zum Morgen warten.«
    Ich dachte an die brennende Kutsche und wußte, daß auch ich schlief – und mich mitten in einen Alptraum befand.
    »Fortescue«, sagte Bruno.
»Se volete di grazia, signore.
Treten Sie zur Seite.«
    Ich begriff, daß er sich schämte, Gewalt anzuwenden bei einem Mann, der vom Alter her sein Großvater hätte sein können und den er gut kannte.
    Die Augen von Fortescue waren groß, wäßrig und flach, wie die Augen eines Wesens, das tief

Weitere Kostenlose Bücher